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Schwestern Tag und Nacht, um mit der Zeit so viel zu ver¬
dienen. Ich mache es eben so mit meinem Herrn, einem Juwe¬
lier, und überdies suche ich, wie Sie sehen, die freie Zeit noch
besonders zu nutzen. Wir leben so sparsam, als es nur immer
möglich ist; nur ein einziges kleines Zimmer dient uns armen
Unglücklichen zur Wohnung. — Ich war Anfangs gesonnen,
selbst hinzureisen und meinen Vater dadurch loszukaufen, dass
ich mich statt seiner zum Sclaven anböte. Aber meine Mutter,
die meine Absicht — ich weiss nicht, wie — erfuhr, ver¬
sicherte, dass sie gar nicht ausführbar sei, und liess allen Schilf s-
herren, die nach der Levante fahren, verbieten, mich an Bord
zu nehmen. — U. Bekommen Sie denn auch wohl zuweilen
Nachrichten von Ihrem Vater? Wissen Sie, wer sein Herr zu
Tetuan ist, und wie man ihm in seiner Sclaverei begegnet ?
R. Sein Herr ist Aufseher über die Gärten des Königs;
man begegnet ihm sehr gelind, und die Arbeiten, zu denen man
ihn gebraucht, sind nicht über seine Kräfte. Aber wir sind nicht
bei ihm, um ihn zu trösten, ihm seine Arbeit zu erleichtern; er
ist fern von uns, fern von einer geliebten Gattin und drei
Kindern, die er ebenfalls zärtlich liebte! — U. Und was für
einen Namen führt Ihr Vater zu Tetuan?
R, Er hat seinen Namen nicht verändert; er nennt sich
noch Robert, wie zu Marseille. — U. So! so! Robert? Also
bei dem Aufseber der Gärten des Königs?
R. Ja, mein Herr. — U. Ihr Unglück rührt mich; Ihre Ge¬
sinnungen scheinen ein besseres Schicksal zu verdienen. Auch
getraue ich mir, es Ihnen zu versprechen; setzen Sie nur Ihre
Zuversicht auf Gott. — Der Unbekannte schwieg und sass die
ganze Zeit über, wie in tiefem Nachdenken, ohne weiter ein
Wort zu sprechen. Da es dunkel ward, liess er sich wieder ans
Land setzen, drückte beim Aussteigen dem jungen Robert seinen
Geldbeutel in die Hand, und lief so eilig davon, dass dieser ihm
nicht einmal danken konnte. In dem Geldbeutel befanden sich
sechszehn Pistolen und zehn Thaler Silbermünze. Wie gerührt
war der junge Robert durch diese ausserordentliche Frei¬
gebigkeit! Er lief des andern Tages die ganze Stadt durch, um
seinen Wohlthäter aufzusuchen und ihm zu danken; aber um¬
sonst: er war nirgends zu finden.
2. Die Familie fuhr indess fort, imermüdet zu arbeiten, um,
wo möglich, die nöthige Summe zusammen zu bringen.
Eines Tages, da sie eben im Begriff waren, ein sparsames
Mittagsmahl, das aus Brod und trockenen Früchten bestand, zu
sich zu nehmen, sahen sie auf einmal — wie gross war ihr
Erstaunen! — ihren lieben Vater Robert, sehr wohl gekleidet,
ins Zimmer treten. Er überfiel sie mitten in ihrem Kummer und
Elende. „Ach, meine Frau, meine lieben Kinder!“ rief er und
stürzte Jedem um den Hals. „Wie ist es euch möglich gewe¬
sen, mich so bald zu befreien, und zwar auf die Art, wie ihr