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Sie hat kein Holz, sie hat kein Brod,
Und klagt dem lieben Gott die Noth.
Friert's noch so stark, das Mutterherz
Thaut doch die Thränen auf in Schmerz.
Der Winter ist ein rauher Mann;
Wer nimmt sich doch der Armen an? —
Kind, bring' der Mutter in der Noth
Ein weißes Hemd, ein Stückchen Brod,
Ein Bündchen Holz, und sag' ihr dann,
Daß fie zu uns auch kommen kann,
Um Brod zu holen, immer frisch;
Und dann deck' auch für uns den Tisch!
* 118. c. Winterlied.
Wie ruhest du so stille in deiner weißen Hülle, du mütterliches
Land! Wo sind des Frühlings Lieder, des Sommers bunt Gefie¬
der, und dein beblümtcs Festgewand?
Du schlummerst nun entkleidet. Kein Lamm, kein Schäfchen
weidet auf deiner Au' und Höh'. Der Vögel Lied verstummet, und
keine Biene summet; doch bist du auch im Schlummer schön.
Die Zweig' und Aeste schimmern, und tausend Lichter flimmern,
wohin das Auge blickt. Wer hat dein Bett gebreitet, die Decke dir
bereitet und dich so schön mit Reif geschmückt?
Der gute Vater droben hat- dir dein Kleid gewoben; Er schläft
- und schlummert nicht. So schlumm're denn in Frieden! Der Vater
weckt die Müden zu neuer Kraft und neuem Licht.
Bald in des Lenzes Wehen wirst du verjüngt erstehen zum
Leben wunderbar. Sein Odem schwebt hernieder; dann, Erde,
prangst du wieder mit einem Blumenkranz im Haar!
128. Das Wunder.
Eines Tages im Lenze saß der Jüngling Salomo unter den
Palmen in dem Garten seines Vaters, des Königs, und schaute
vor sich nieder in tiefen Gedanken. Da trat Nathan, sein Lehrer,
zu ihm und sprach: Was sinnest du so ernst unter den Palmen?
Der Jüngling erhob sein Haupt und antwortete: Nathan, ich
möchte gern ein Wunder sehen.
Der Prophet lächelte und sprach: Ein Wunsch, den ich auch
in meinen Jünglingsjahrcn hegte.
Und er ward dir gewährt? fragte eilends der Königssohn.
Ein Mann Gottes, fuhr Nathan fort, trat zu mir und trug
einen Granatkern in seiner Hand. Siehe, sprach er, was aus die¬
sem Kern werden wird. Darauf machte ec mit seinem Finger eine
Oefsirung in die Erde, legte den Kern hinein und bedeckte ihn.