104 Tie Kolonialmächte Europas.
beteiligt. Die Einsuhr nach den Kolonien überwiegt vorerst noch bedeutend
deren Ausfuhr. Das Privatkapital, das in den deutschen Kolonien (abgesehen von
Kiautschou) arbeitet, wird auf Yz Milliarde Mark geschätzt.
Den Nutzungswert der Kolonien kann erst die Zukunft voll entwickeln, doch läßt
sich jetzt schon erkennen, daß hier ein weites und zukunftsvolles Feld für all diejenigen
Rohstoffe vorliegt, deren Deutschland zur Ergänzung seiner eigenen Volkswirtschaft
und zur Stärkung seiner GeWerbetätigkeit bringenb nötig hat. Allerdings gehören
die deutschen überseeischen Besitzungen nicht zu den reichsten Ländern der Erde,
sie sind aber mindestens ebenso wertvoll wie die Nachbarkolonien der anderen Staaten.
Togo steht in seinen Produktionsbediuguugeu nicht hinter der britischen Goldküste
und Franzöfifch-Dahome zurück und Kamerun übertrifft sogar an Fruchtbarkeit
ausgedehnte Gebiete von Britisch-Nigeria und der französischen Kongo-Kolonie.
D e u t f ch - O st a f r i k a kann sich durchaus mit Britisch-Ostasrika messen und
D e u t s ch - S ü d w e st a f r i k a ist nach Boden und Klima keineswegs ungünstiger
gestellt als das benachbarte Britisch-Südafrika. Dasselbe gilt von den deutschen
Südseekolonien. Mängel des deutschen Kolonialgebietes sind die Zerstreutheit seiner
Lage und die Zufälligkeit seiner Anordnung.
Ihrem Charakter nach gliedern sich die deutschen Kolonien also:
Deutsch-Südwestafrika ist eine S i e d e l n n g s k o l o n i e; Togo, Kamerun
und Deutsch-Ostafrika sowie die deutschen Kolonien in der Südsee sind P f l a n -
z u n g s - und H a n d e l s k o l o n i e n. Kiautschon ist eine F l o t t e n st a t i o n
und H a n d e l s k o l o n i e.
2. England.
Die größte europäische Kolonialmacht ist England. Seine sämtlichen Außen-
besitzungen umfassen 30 Mill. qkm, d. i. fast die dreifache Größe Europas und
376 Mill. Einw., d. i. fast 1/i aller Menschen der Erde. Die Größe dieses umfassenden
Kolonialreiches, von dem in Wahrheit gefagt werden kann, daß in ihm die Sonne
nicht untergehe, ist um so bemerkenswerter, als es in verhältnismäßig kurzer Zeit
aufgebaut worden.
(Geschichtliches. Die Anfiedlungsverfuche Englands in Nordamerika begannen
erst unter der Königin Elisabeth (1558—1603) und wurden dann unter den folgenden
Regierungen fortgesetzt. Das Fehlen von Edelmetallen und der Bedingungen für
die Erzeugung von sog. Kolonialwaren legte hier den Grund zu ben Ackerbaukolouieu,
aus denen später die Vereinigten Staaten hervorgingen. Als dann England die
spanische Armada vernichtet und im 17. Jahrhundert auch die Vormachtstellung
Hollands zur See allmählich untergraben hatte, hob sich seine Stellung als See-
und Kolonialmacht außerordentlich rasch. Ganz besonders erfolgreich für England ver-
lief dessen Kamps mit Frankreich um die See- imb Kolonialmacht in den Jahren
1688—1805. In diesem gewaltigen Ringen verlor Frankreich seine Besitzungen in
Amerika (die Gebiete am Mississippi und Unterkanada) und in Ostindien. Große
Schädigung erlitt dagegen England durch den Abfall der 13 nordamerikanischen Pro-
vinzen (1776); sie wurde indes im 19. Jahrhundert wieder wettgemacht durch die
Besitznahme Australiens, mehrerer Gruppen der Südseeinseln, des größten Teils
von Südafrika und durch die Aufrichtung des indischen Kaiserreiches, wo schon 1602
die britisch-ostindische Gesellschaft die ersten Niederlassungen gegründet hatte.