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Wir können Gott nicht sehen, denn Er ist unsichtbar; aber
wir können Seine Werke sehen, und verehren Seine Fußstapfen
auf der grünen Flur. Die, welche am meisten von Seinen Werken
wissen, werden Gott am besten preisen; aber wer unter uns ver¬
mag auch nur die Hälfte Seiner Werke aufzuzählen?
Die Schöpfung ist ein Buch: I Dem wirv die Herüichkeit
Wer darin lesen kann, I Des Schöpfers kund gethan.
* Der Kunstrichter.
Sohn, mit Weisheit und Verstand
Ordnete des Schöpfers Hand
Alle Dinge. Sieh umher!
Keines steht von ungefähr,
Wo es steht. Das Firmament,
Wo die große Sonne brennt,
Und der kleinste Sonnenstaub,
Deines Athems leichter Raub,
Trat, auf unsers Gottes Wort,
Jegliches an seinen Ort.
Alles ist in Seiner Welt *
Gut und weise. Dennoch hält
Mancher Thor es nicht dafür
Und kunstrichtert Gott in ihr.
Solch ein Thor war jener Mann,
Den ich dir nicht nennen kann.
Der, als er an schwachen Ranken
Einen Kürbiß hangen sah,
Groß und schwer, wie deiner da,
Den du selbst gezogen hast,
Den verwegenen Gedanken
Hegete: „Nein, solche Last
Hätt' ich an so schwaches Reis
Wahrlich doch nicht aufgehangen!
Mancher Kürbiß, gelb und weiß.
Reih' an Reih', in gleichem Raum,
Müßte mir gar herrlich prangen
Hoch am starken Eichenbaum!"
Also denkend geht er fort,
Kommt ermüdet an den Ort
Einer Eiche, lagert sich
Längelang in ihren Schatten,
Und schlaft ein. — Die Winde hatten
Manche Woche nicht geweht;
Aber als er schläft, entsteht
Ein Eebrause; starke Weste
Schütteln Blätter, Zweig' und Aeste,
Und vom hohen Gipfel fällt
Dem Verbesserer der Welt
Eine Eiche! — auf die Nase.
Plötzlich rafft er aus dem Grase
Sich erschrocken auf; die Nase
Blutet, und der kluge Mann
Hebt hieraus zu seufzen an:
„O, wie thöricht war ich nicht,
Daß ich unbedachtsam wollte,
Daß der Eichbaum eine Frucht
Gleich dem Kürbiß tragen sollte!
Traf ein Kürbiß mein Gesicht,
Ja, dann lebt' ich sicher nicht.
Dumm, sehr dumm hab' ich gedacht;
Gott hat Alles wohl gemacht!"
* 1Ä8. Ein Handwerksgesell erhält von seinem
älteren Bruder Ermahnungen auf die Wan¬
derschaft.
Auch ich bin gewandert, lieber Bruder, und habe die Welt ge¬
sehen; ich kenne die Gefahren, in die ein junger Mensch, der bis¬
her bloß das elterliche Haus kannte und liebevoll geleitet wurde, so
leicht geräth, wenn ec nun ohne Freund, Führer und Rathgeber
ist. Du hast mir bisher Vertrauen geschenkt; nimm freundlich auf,
was ich in den letzten Tagen für dich niedergeschrieben habe:
Wo du auch immer sein magst, überall habe Gott im Herzen,
und bitte Ihn, baß Er deine Wege leite und alle deine Anschläge
in Ihm verbleiben. Verliere den Zweck deiner Wanderschaft nie