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164. Richmodis von Aducht.
(Eine Sage^^.)
Oede des Grabes herrschte in den sonst so belebten Straßen
-er Stadt Köln; denn zahllos waren die Opfer, welche die Pest
hier im Jahre 1400 dahinraffte. Das Sterben war so groß und
so allgemein, daß man den Leichen nicht einmal ein ehrliches, christ¬
liches Begräbniß geben konnte, sondern sie in große Gruben ver¬
scharren mußte, um sie aus dem Wege zu räumen.
Zu der Zeit lebte auf dem Neumarkte, in dem Hause zu den
Papageien, eine ehrbare Frau, Namens Richmodis. Gattin
eines Herrn von Aducht. Sie wurde krank, und in einigen Tagen
ruhte sie schon im Sarge. Ihr Gemahl ließ sie auf dem Kirch¬
hofe zu St. Aposteln beisetzen. Die Todtengraber hatten aber
wahrgenommen, daß die Leiche noch ihre goldenen Ringe an den
Fingern trug, und beschlossen, derselben diese Kostbarkeiten zu
nehmen. In der Nacht schlichen sie daher zum Grabe, scharrten
die Erde weg und öffneten den Sarg. Schon waren sie im Be¬
griffe, der Leiche die Kostbarkeiten abzustreifen, als sich Frau Rich¬
modis, aus tiefer Brust aufseufzend, im Sarge erhob. Die Todten-
gräber ergriff starrer Schrecken, aus dem sie erst aufwachten, als
Frau Richmodis die Worte stöhnte: „Wo bin ich?" Sie flohen,
taub gegen das Hülferufen der kaltstarren Frau.
Frau Richmodis entstieg der Gruft, nahm die von den Ent¬
wichenen zurückgelassene Leuchte und wankte schwach ihrer Woh.
nung zu. Sie pochte an. Die Diener kamen, eilten aber eben
so schnell wieder zurück, als ihnen auf ihre Anfrage, wer so spät
noch Einlaß begehre, die Antwort wurde: „Die Hausfrau", und
sie auch deren Stimme erkannten. Aengstlich verbargen sie sich in
ihre Belten. Die Frau ließ aber nicht ab, zu pochen, und pochte
so lange, bis ihr Eheherr erwachte und den Dienern befahl, nach¬
zusehen, wer draußen vor der Thüre sei. Zitternd vor Angst, be¬
richteten sie, der Geist der Frau verlange Einlaß, und sie seien zu
furchtsam, um noch einmal zum Thore zu gehen. Der Herr schalt
sie Narren; da sie aber versicherten, der Hausfrau Stimme erkannt
zu haben, ging er selbst zum Fenster und fragte, wer draußen sei.
Er sah die noch in das Leichentuch Gehüllte, und schauderte unwill¬
kürlich zusammen, als er seiner.Ehefrau Stimme selbst erkannte,
die ihn anflehte, sie doch einzulassen. Er ermannte sich und fragte,
) Sage ist diejenige Dichtung. welche sich im Volke selbst ge¬
bildet und eine entweder ganz oder doch theilweise unverbürgte
Begebenheit zum Gegenstände hat.