Full text: Lesebuch für obere Classen in katholischen Elementarschulen

wer sie sei« „Wie! du erkennest deine Gattin nicht mehr ?" antwortete 
Frau Richmodis schluchzend. — „Es ist so viel möglich, daß du 
meine Gattin bist," sprach Herr von Aducht, „als daß sich meine 
Pferde aus dem Stalle losreißen und auf den Söllergehen!" Kaum 
hatte er das Wort über seine Lippen gebracht, als er seine Pferde 
auch schon laut polternd die Stiegen hinanstürmen hörte. Er flog 
mehr, als daß er die Treppe hinunter ging, um der Wiedererstan¬ 
denen die Thür zu öffnen. Mit sorgender Liebe bot er nun Alkes 
auf, um die Halberstarrte zu erquicken und ihr das Leben zu erhalten. 
Noch viele Jahre hindurch erfreute sich Frau Richmodis der 
besten Gesundheit und beschenkte ihren Gemahl noch mit drei ge¬ 
sunden Kindern. Kein Lächeln spielte aber mehr auf ihren Lippen, 
selbst wenn stille Freude ihre Seele füllte. Emsig webte sie ein Fa¬ 
stentuch, welches sie der Kirche zu den^ heiligen Aposteln schenkte, 
und worauf ihre Wiedererweckung aus dem Grabe geschildert war. 
Als sie endlich in einem hohen Alter verschied, wurde sie neben 
ihrem Gemahl am Eingänge der Kirche, in einem erhöhten Grabe 
beigesetzt, und lieblich- Töne flüsterten dem aufmersamen Horchenden 
aus dem Grabe zu. Der Hergang der Wiedererweckung wurde im 
Haupteingange der Kirche zu ewigem Andenken gemalt; doch ist 
diese Halle, wie vieles des Alterlichen in Köln, zerstört, und mit 
ihr die Schilderei. — Indeß sieht der Wanderer auch jetzt noch zwei 
Pferdeköpfe, welche der Sage nach zu Erinnerung an diese Be¬ 
gebenheit, auf dem Neumarkte im Söllerfenster des Hauses, das 
die Familie von Aducht bewohnt haben soll, aufgestellt sind. 
163. Das Kreuz auf dem Drachenfelfen. 
(Eine rheinische Sage.) 
Hart an dem rechten Ufer des prächtigen Rheinstromes erheben 
sich zwei Stunden oberhalb Bonn sieben Bergkegel. Sie bilden 
das weit berühmte Siebengebirge, schön bekränzt mit Weinstöcken 
und Baumgruppen, dazwischen freundliche Dörfer und blühende 
Städtchen. Einer der Kegel heißt der Drachenfels. Steil am 
Gestade des Flusses strebt er hoch in die Höhe, und steht dort, 
wie eine Felsenwand, mit seinem Geklüft und den Waldhöhen seit 
Jahrtausenden unerschütterlich. Wenn man ihn und oben auf sei¬ 
nem Haupte die Trümmer einer alten Burg ansieht, so ist es, als 
wolle er dem Wanderer etwas Besonderes aus der grauen Vorzeit 
erzählen. Denn es hat sich in alten Zeiten eine gar merkwürdige 
Geschichte dort zugetragen. 
Als vor vielen, vielen Hundert Jahren der Herr Sich der Be¬ 
wohner am linken Ufer des Rheines erbarmt und ihnen das Wort
	        
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