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schließen ihn Hügel und Berge von schönen Formen. Aus ihren steilen,
malerischen Schluchten treten rasche Bäche hervor und ergießen sich in
das Becken des .Meeres von Galiläa". Der blaue Himmel
schaut freundlich in seinen ruhigen Spiegel, und nur zuweilen bringen
jäh aus den Bergen hervorbrechende Zugwinde und Windwirbel das
friedliche Gewässer mit der Gewalt des schweizerischen Föhns in wil¬
den Aufruhr. Die umliegende Landschaft ist wohl die anmuthigste und
fruchtbarste in ganz Palästina; hier gedeihen die trefflichsten Südfrüchte:
Datteln, Citronen, Pomeranzen, Trauben, Melonen, überhaupt alle
Erzeugnisse, die zu ihrer Zeitigung eines fröhlichen Himmels bedürfen.
Die vorzüglichsten Früchte, Trauben und Feigen, reicht der tiefe Aerg-
tessel dieses See's zehn Monate ununterbrochen dar. Bei größerer
Betriebsamkeit der Menschen würde derselbe ein natürliches Treibhaus
fein, in welchem die edeln Gewächse Aegyptens und selbst Arabiens
zur völligen Reife gelangen könnten. Dichter Baumwuchs und Busch¬
werk, mit Saatfeldern wechselnd, umkränzt das nordwestliche Ufer;
von dem Heere blühender Oleanderbäume ergießt sich ein rosenfarbi¬
ger Schimmer rings umher über Thal und Hügel. Aus den Gebü¬
schen ertönt das Lied der Blaudrossel und Nachtigall und aus den
Felsenhöhlen von Magdala die Stimme der wilden Tauben, die hier
in Schaaren zu Hunderten umherfliegen und an den stechapfelförmigen
Früchten der zahlreichen Lotusbäume gute Kost haben.
In diesem gesegneten Seethale drängte sich sonst eine unzählbare
Volksmenge im rührigsten Verkehre. Blühende Städte und gewerb¬
liche Flecken, wie Capharnaum, Chorazaim, Bethsaida, Magdala und
Tiberias sammt ihren reizvollen Gärten, Feldern und Obsthainen,
welche zu jeder Zeit des Jahres reife Früchte lieferten, umgürteten
im lieblichsten Wechsel den See, wie die kostbare Einfassung einen
herrlichen Juwel. Gegen zwölfhundert Fischer fanden hier ihre Nah¬
rung; dritthalbhundert Fahrzeuge größerer und kleinerer Art, die theils
zu angenehmen Luftfahrten an den freundlichen Ufern, theils zur Unter¬
haltung des regen Verkehrs mit den umliegenden Städten und Dör¬
fern dienten, durchkreuzten den Wasserspiegel nach allen Richtungen.
Hier war der heitere gesegnete Schauplatz „des angenehmen Jahres
des Herrn". In Capharnaum hatte der Heiland seine Wohnung. Hier
>erlas er sich mit seinem göttlichen, alldurchforschenden Blicke aus der
geschäftigen Menge die tüchtigsten seiner Apostel; hier und im ganzen
Amkreise dieser Gestade warf der erhabene Menscheufischer unermüdet
das Netz seiner herzgewinnenden Rede und seines holdseligen Wesens
aus, in den Schulen und Häusern, auf blühenden Uferhügeln und vom
Bord des Schiffes, vor dem Schmerzenslager der Kranken und den
Schreckensklüften der Besessenen.
Jetzt trauert die reizvolle Landschaft wie eine Wittwe; denn auch
über sie liegt ein Schleier der Verlassenheit ausgebreitet. Von Ca-
xharnaum, „die bis an den Himmel erhoben war", von Chorazaim
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