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20. Die Verehrung und Anrufung der
Heiligen.
Die katholische Kirche lehrt, daß das Band der christlichen Liebe,
welches ihre Glieder umschlingt, auch durch den Tod nicht gelöst
werde, daß die Heiligen im Himmel für das Wohl ihrer Brüder auf
Erden immerfort noch liebevoll besorgt sind und Gott für dieselben
bitten. In diese Bitten der Heiligen zu Gott empfehlen wir uns nicht
nur, sondern rufen sie auch an, daß sie für uns zu Gott bitten mö¬
gen, indem wir wünschen, die Heiligen möchten ihre Gebete, mit
den unsrigen vereint, dem Vater im Himmel vortragen; auch hierin
besteht die Anrufung der Heiligen. Diese in der katholischen Kirche
übliche Anrufung der Heiligen widerstreitet dem Geiste des Christen¬
thums nicht im Mindesten; sie ist vielmehr sehr erhebend und erbau¬
lich. Ist doch ja gewiß das Gebet für Anderer Heil etwas Erlaubtes
und Gutes, was wir also auch von den Heiligen im Himmel erwar¬
ten dürfen. — So bat auch schon Moses für die Israeliten, Job für
seine Freunde, Stephanus für seine Verfolger. So werden die Chri¬
sten zu Rom vom Apostel Paulus angesprochen, für ihn zu beten;
eben so die Korinther, die Cphesier. Und betete nicht auch der Heiland
selbst für Seine Jünger, für Seine Feinde? So beten auch Eltern
für ihre Kinder, Kinder für ihre Eltern u. s. f. — Der Apostel
Paulus schreibt (I. Tim. II. 1.—4-): »Vor allen Dingen er¬
mahne ich nun, daß Bitten, Gebet, Fürbitten und Dank¬
sagungen geschehen für alle Menschen, für Könige und
alle Obrigkeiten, damit wir ein stilles und ruhiges Le. -
ben führen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit; denn
dieses ist gut und Gott, unserem Heilande, wohlgefällig,
welcher will, daß alle Menschen gerettet werden und
zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen." Und bei
Jak. V. 16. heißt es: »Bittet für einander, daß ihr selig
werdet. Denn das Gebet des Gerechten vermag viel."
Der heilige Chrysostomus, welcher im vierten Jahrhundert lebte,
sagt: »Fremdes Gebet nützet uns ungemein viel. Lasset
uns daher die Fürbitte der Heiligen nicht verwerfen,
aber auch nicht unser ganzes Vertrauen darauf setzen."
Dadurch nun werden die Heiligen nicht zu Göttern gemacht und
als solche angesehen, noch wird ihnen auf irgend eine Weise eine
göttliche Kraft beigelegt; auch als unsere Erlöser werden sie nicht
betrachtet, sondern nur als Fürsprecher und Fürbitter bei dem
allmächtigen Gott und bei dem einzigen und wahren Mittler und Er¬
löser Jesus Christus.
Die katholische Kirche lehrt ausdrücklich, daß die Heiligen Gottes
aus sich selbst, aus eigener Macht uns nichts geben und ge¬
währen können; daher wird bei ihrer Anrufung auch niemals und
Lestb. f. ob. El., 28. Ausl. Jg