Object: Erstes Lesebuch für die Mittelstufe (Teil 3, [Schülerband])

3. Bei Arbeit und Spiel. 23 
Personen, welche eine brennende Campe oder ein Licht tragen, 
darf man nicht jagen, necken oder erschrecken. 
Kiemand soll. mit offenem Licht auf den Boden, in den Keller, 
in die Scheune oder in die Ställe gehen. Ans dem Pentralblalnt 
27. Dornröschen. 
Vorzeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: 
„Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!“ und kriegten immer keins. Endlich 
aber bekamen sie ein so schönes Mädchen, daß der König vor Freude sich 
nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er lud nicht bloß seine 
Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Frauen dazu 
ein, damit sie dem Kinde hold und gewogen würden. Es waren ihrer drei— 
zehn in seinem Reiche. Weil er aber nur zwölf goldne Teller hatte, von 
welchen sie essen sollten, konnte er eine nicht einladen. Die geladen waren, 
kamen, und nachdem das Fest gehalten war, beschenkten sie das Kind mit 
ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andre mit Schönheit, die 
dritte mit Reichtum, und so mit allem, was Herrliches auf der Welt ist. 
Als elf ihre Wünsche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein, 
die nicht geladen war und sich dafür rächen wollte. Sie rief: „Die Königs— 
tochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot 
hinfallen.“ Da trat die zwölfte hervor, die noch ihren Wunsch übrig hatte. 
Zwar konnte sie den bösen Ausspruch nicht aufheben, aber sie konnte ihn 
doch mildern und sprach: „Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundert— 
jähriger, tiefer Schlaf, in den die Königstochter fällt.“ 
Der König wollte sein liebes Kind vor so großem Unglück bewahren 
und ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen Königreiche 
verbrannt werden sollten. An dem Mädchen aber wurden alle Gaben der 
weisen Frauen erfüllt; denn es war so schön, sittsam, freundlich und ver— 
ständig, daß es jedermann, der es ansah, lieb haben mußte. Es geschah, 
daß an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahre alt war, der König und 
die Königin nicht zu Hause waren und das Mädchen ganz allein im Schlosse 
zurückblieb. Da ging es allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie 
es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm. Es stieg eine Treppe 
hinauf und gelangte zu einer kleinen Tür. In dem Schlosse steckte ein 
verrosteter Schlüssel, und als es ihn umdrehte, sprang die Tür auf. Da 
saß in einem kleinen Stübchen eine alte Frau und spann emsig ihren 
Flachs. „Ei, du altes Mütterchen,“ sprach die Königstochter, „was machst 
du da?“ — „Ich spinne,“ sagte die Alte und nickte mit dem Kopfe. „Wie 
das Ding herumspringt!“ sprach das Fräulein und nahm die Spindel und 
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