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unangenehm ist, zu suchen, oder zu fliehen; ein höheres,
sofern ich mein Begehren durch die Vorstellungen meiner
Vernunft bestimmen lasse. Jenes habe ich mit den Thie¬
ren gemein; das Thier jedoch muß seinen sinnlichen Be¬
gierden folgen vermöge des Naturtriebes, welchen der Schö¬
pfer in dasselbe gelegt hat, und welker dasselbe, ohne daß
es widerstehen kann, zwingt, lediglich seiner Nabrung und
seinem sinnlichen Vergnügen nachzugehen. Ter Mensch hin¬
gegen kann seine Naturtriebe durch die Macht der Vernunft
beherrschen; er hat freien Willen. Der freie Wille
besteht nicht darin, wie Manche glauben, daß ich nach Ge¬
fallen meinen sinnlichen Begierden stöhnen kann, denn das
kann auch das Thier; sondern darin, daß ich ihnen zu wi¬
derstehen vermag. Und ich finde in mir einen Trieb, der
mich heißt, nicht meinen sinnlichen Begierden zu folgen, son¬
dern dem, was ich durch meine Vernunft als recht erkenne.
DaS ist das Gewissen. Mein Gewissen sagt mir: du sollst
das Gute thun, und das Böse meiden; cs mahnt mich zum
Guten, und warnt mich vor dem Bösen; cs lohnt mich
mit innerm Beifall, wenn ich Gutes gethan habe; cs straft
mich, wenn ich BöfeS verübte. Das Gewissen ist die Stimme
GotteS in mir, die mir nicht allein Gottes Willen kund
thut, sondern mich auch antreibt, ihn zu erfüllen. Durch
daS Gewissen und die Vernunft bin ich weit über das Thier
erhaben; ich bin dadurch Gott ähnlich, ich trage sein Bild.
Ich sollte nun wohl dieses meines hohen Vorzugs immer
eingedenk sein, und der Stimme Gottes, die in meinem Ge¬
wissen zu mir redet, stets folgen; aber leider thue ich cs
nicht: ich finde in mir einen Zwiespalt zwischen meiner bes¬
sern Erkenntniß und meinem Handeln. Ich folge viel öfter
meinen sinnlichen Begierden, als der Stimme meines Ge¬
wissens, die ich oft nicht einmal vor dem Geräusche, mit dem
jene mich übertäuben, vernehme; ich muß mit dem Apostel
sagen: „Ich habe wohl Lust an Gottes Gesetz, nach dem
inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein ander Gesetz in
meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem
Gemüth, und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz,
welches ist in meinen Gliedern." Ich rufe mit ihm: „Ich
elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses
Todes" (Röm. 7, 22—24.)? Aber ich weiß, an wen ich
glaube. Ich weiß, daß Gott sich über mich sündigen Men¬
schen erbarmt hat, und hat seinen eingcborncn Sohn mir
gesandt, daß er von meinen Sünden mich erlöse, und mir