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theilen wollen, denn Gott hat es so eingerichtet, daß dem
Einen immer fehlen muß, was der Andere hat, damit Kei¬
ner über den Andern sich erhebe, und Einer den Andern
recht achte und liebe; aus der Nothwendigkeit und dem
Wunsche dieser gegenseitigen Mittheilung ist der Handel
hervorgegangen, der die Menschen aus den entferntesten Ge¬
genden der Erde mit einander verbindet und alle Erzeugnisse
der Natur und Menschenhand zu einem Gcmeingute Aller
macht, und zwar meist vermittelst des Geldes, welches als
allgemeines Austauschemittel anerkannt ist.
Durch den Handel stehen nun zwar alle Menschen mit
einander in einer allgemeinen Verbindung, aber theils durch
die allmählige Ausbreitung der Familie, theils durch das
Bedürfniß einer gegenseitigen nahem Hilfsleistung sind noch
viel engere Verbindungen unter den Menschen entstanden.
In den frühesten Zeiten haben sich die Glieder einer großen
Familie, wenigstens mit etlichen Freunden, Knechten und
Mägden zusammen gehalten, und sind mit ihren Heerden
von einem Orte zum andern gezogen, und es gibt noch
jetzt Völker, unter denen keine andere Verbindung, als diese,
Statt findet, welche man daher auch Hirtenvölker oder
Nomaden nennt. Aber sehr bald haben die Menschen
angefangen, feste Wohnsitze zu nehmen, um den Boden
anzubauen und auszubeuten; und dann sind zuerst D örfer,
dann Städte entstanden. Von diesen haben sich dann
wieder viele zu einem größcrn Verbände zusammen gethan,
den man Staat nennt. Weil aber jeder Mensch gern
seinem Sinn und Willen folgt, so würden die vielen Men¬
schen, welche zu solch einem Staate gehören, sehr bald in
große Uneinigkeit unter einander gerathen, und die ganze
Verbindung würde sich auflösen, wenn der liebe Gott nicht
die Obrigkeit gegeben hätte, welche dazu da ist, daß sie
kraft der ihr von Gott verliehenen Gewalt Einrichtungen
trifft, wodurch der Verkehr der Unterthanen geordnet, das
Eigenthum des Einzelnen sicher gestellt, die Streitigkeiten
geschlichtet, und, die Bösen, welche die Ruhe der Andern
stören möchten, im Zaum gehalten werden. Daß es eine
Obrigkeit gibt, ist eine große Wohlthat, und sie ist Gottes
Ordnung; sie soll mls solche angesehen werden, und Jeder,
der ihr widerstrebt, widerstrebt Gottes Ordnung, was auch
niemals ungestraft bleibt. Die Obrigkeit ist aber nicht einer
und derselben Art in den verschiedenen Staaten, und das
bestimmt die verschiedene Regierungsverfassung derselben.