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Tonleselunst. 
gestorben. Mit ihren verträglichen Schwiegereltern lebte sie bestän¬ 
dig in Hader, so daß es diese kaum ein Vierteljahr lang unter Einem 
Dache mit ihr aushalten konnten. Von fünf Kindern brachte sie keins 
auf die Beine, weil sie durch ihre zornige Gemüthsart sie insgesammt 
zu Sterblingen machte. Sie hat nun ihren zweiten Mann und lebt 
eben so mit ihm, wie mit ihrem ersten. Und seht, so wär' es ohne 
Zweifel auch uns gegangen, wenn nicht die häßlichen Blattern uns 
vor dem Übel bewahrt hätten. — Ist es nun ein Wunder, wenn 
ich älles, was mir widerfährt, für gut hatte? — Gewiß, Frau Nach¬ 
barin, einen ganzen Tag lang wollt' ich Ihr von lauter Unfällen 
erzählen, die mein Glück waren, und alle Leute würden eine lange 
Predigt davon halten können, wenn sie darauf geachtet hätten. 
Marie. Vater Gerhard, Gott hat Ihn zu einer glücklichen Stunde 
zu uns geführt. Er hat mich erst recht auf die Spur gebracht, wo 
mir's fehlt. Alle meine eigene Ünruhe und aller Verdruß, den ich 
andern mache, kommt daher, daß ich alles, was nicht nach meinem 
Sinne geht, für lauter Unstern halte. Von nun an aber .... doch 
— ihr sollt es selbst sehen! 
Jost. Herzens-Marie! (indem er ihr die Hand reicht) auch ich denke 
zu wenig an Vater Gerhards Leibspruch: „Nicht was uns lieb, son¬ 
dern was uns gut ist." — Vater Gerhard' soll Zeuge dessen sein, 
was wir uns hier versprechen! 
Marie. (In seine Hand schlagend) Topp! So bald ich wieder in 
meinen alten Fehler verfalle, so sagst du nur: „O, wenn das Vater- 
Gerhard wüßte!" 
Jost. Und das Nämliche sagst du auch zu mir, und Gott wird 
uns beistehen, daß unser Vorsatz nicht wieder zu Schanden wird. 
Jost und Marie lebten von Stund' an weit zufriedener als sonst. 
Wenn sie etwas für gut hielten, so suchten sie es zwar zu erlangcu; 
aber sie strebten nicht ängstlich darnach, und schlug ein Wunsch fehl, 
so hielten sie auch das für gut. Begegnete ihnen ein Unfall, so 
hieß es: Die Arznei ist wohl bitter, aber gewiß desto gesünder, weil 
Gott sie uns gibt! — Vater Gerhard, seine Frau, fein Sohn und 
seine Schwiegertochter waren ihre liebste Gesellschaft, und alle suchten 
gemeinschaftlrch aus ihrer eigenen und aus anderer Leute Erfahrung 
immer noch besser zu lernen, daß uns Gott zwar nicht immer 
das Angenehmste, aber gewiß immer das Beste gibt. Erst 
vor ein paar Monaten starb Vater Gerhard, auch im Sterben so ge¬ 
lassen, als er im Leben war, und befahl vor seinem Sarge zu singen, 
was seit so vielen Jahren sein Leiblied war: Was Gott thut, das 
ist wohlgethan.
	        
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