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wahrscheinlich ihre persönliche Anwesenheit erheischen wird. Zwei Kin¬
der armer Eltern, des Taglöhners Johann Hübner und des Schuh¬
machermeisters Daniel Kraft, das erste von 10, das andere von 11
Jahren waren heute Morgen in den Wald gegangen, um Heidelbee¬
ren zum Verkaufe zu brechen. Früher als sie erwartet wurden, kamen
dieselben weinend nach Hause und beschwerten sich, daß ihnen sehr
übel sei. Ihr Aussehen bekräftigte die Wahrheit dieser Aussage und
besänftigte die ungehaltenen Eltern. Denn die Augen der Kinder
waren hervorgetrieben und mit Blut unterlaufen. Dabei würgten sie
beständig, als wollten sie sich erbrechen, konnten aber doch nicht dazu
gelangen. Die Lippen waren auffallend trocken und der Schlund
schien es ebenfalls zu sein. Obgleich die Eltern sonst eben nicht ängst¬
liche Leute sind, so riefen sie doch durch ein Angstgeschrei ihre Nach¬
barn zu Hülfe und einer derselben machte mir die Anzeige. Ich ver¬
muthete sogleich eine Vergiftung und begab mich deßhalb selbst in die
Stube, wo die Kinder in einem erbärmlichen Zustande lagen. Nach¬
dem ich die Eltern um alle Umstände befragt hatte, glaubte ich nicht
zu fehlen, wenn ich den Kindern lauwarmes Wasser mit Ol zu trinken
geben ließ. Denn obgleich die Kinder nur verwirrte Antworten gaben,
ja bisweilen sich wie rasend geberdeten, war ich doch überzeugt, daß
sie von den in dem benachbarten Walde häufig wachsenden Tollkirschen
gegessen hätten. Und wirklich gestand mir der eine Knabe in einem
lichten Augenblicke, baß sie nicht blos Heidelbeeren, sondern auch weit
dickere und schwärzere Beeren von einem höheren Strauche gegessen
hätten. Ich zögerte nun nicht länger diesen Bericht zu schreiben, und
werde bis zu Ihrer Ankunft fortfahren, Brechmittel anzuwenden.
Sporning.
Nachschrift. In diesem Augenblicke erbricht sich das eine Kind,
und wie ich vermuthet hatte, kommen Stücke einer kirschenähnlichen
schwarzen Beere zum Vorschein. Wenn ich wüßte, wieviel Beeren der
Knabe gegessen hat und ich überzeugt sein könnte, daß sie alle ausge¬
brochen wären, würde ich eS wagen, ihm etwas Essig und Wasser
zu geben. Allein ich bin zu unsicher und erwartete Sie mit Schmerzen.
Der Obige.
86. Der Stechapfel.
Dieses Giflgcwächs heißt auch Dornapfel, Rauchapfel, Teufelsapfel,
Giftapfel, Krötenmelde, Tollkraut, und wurde wegen der großen schönen,
auch angenehm, fast wie Maiblumen riechenden Blumen, vor dreihun¬
dert Jahren nach Deutschland gebracht und in Gärten gepflanzt. Man
dachte damals nicht, daß man damit ein lebensgefährliches Gift in unser
Vaterland einführe. Der Stechapfel hat sich aber seitdem so vermehrt
und ausgebreitet, daß er jetzt fast überall auf gutem wie auf schlechtem
Boden, auf Schutthaufen, an Wegen, Zäunen, Mauern als Unkraut
wächst. Die Pflanze entsteht im Frühling aus dem im Herbste zuvor
ausgefallenen Samen, blüht von dem Juni bis in den Herbst, bringt vom
September an reife Samen, wird 1—3 Fuß hoch und sehr umfangreich
und vergeht, gewöhnlich noch ehe der Frost eintritt, wieder gänzlich.