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\ 87. Das Herzogthuin JVassaw.
Ein Ländchen von noch nicht 90 Quadratmeilen und noch
nicht 430000 Einwohner, welches gleichwohl soviel Schönheit
und Segen der Natur in sich vereinigt, ist in Deutschland sonst
nicht zu finden. Zwar ist der Boden gebirgig, Taunus und We¬
sterwald durchziehen ja Nassau, allein mit geringen Ausnahmen
sind diese Gebirge nicht so rauh, dass nicht fruchtbare Thaler
und warme Abhänge dazwischen Platz fänden. Desshalb bringt
das Land nicht nur genug Getraide und Obst hervor, sondern
auch die edelsten Weine, zumal im Rheingau, welches durch das
Gebirg gegen Nord- und Ostwinde geschützt ist. Und ein wärmeres
Thal als das, worin Wiesbaden, die Hauptstadt des Herzog¬
thums liegt, dürfte schwerlich in Deutschland zu finden sein. Dies
rührt zum Theil von den heissen Quellen her, welche hier aus
dem Boden sprudeln und zu heilsamen Bädern benutzt werden.
Desshalb war auch Wiesbaden schon längst berühmt und von vie¬
len Fremden besucht, ehe es noch Residenz des Herzogs wurde.
Selbst im Winter bleiben manche Gäste in diesem Bade , wo das
Klima so mild und die Veranstaltungen zur Unterhaltung so gut
sind, und von wo aus sie so leicht die grossen Städte des west¬
lichen Deutschlsnds erreichen können. Das Wasser einiger Quel¬
len ist sogar heiss genug, um mittelst der Eisenbahn bis nach
Frankfurt transportât und dort noch zu warmen Bädern benutzt zu
werden. Doch ist Wiesbaden bei weitem nicht der einzige Ort
im Herzogthum Nassau, wo mineralisches Wasser aus der Erde
quillt, wenngleich die anderen Quellen sich nicht durch ihre Hitze,
sondern durch andere Eigenschaften auszeichnen. Das Bad zu
E m s an der Lahn wird von Brustleidenden aus ganz Europa be¬
sucht. Für andere Übel dienen die Quellen zu Schwa Ibach,
Schlangenbad, Soden. Allein den grössesten Ruf hat eine
Quelle, deren Wasser nicht an Ort und Stelle getrunken zu wer¬
den pflegt, sondern in Krügen bis nach Amerika und Ostindien
verschickt wird, dies ist der Brunnen zu Selters. Mehrere Mil¬
lionen Krüge werden dort mit Wasser gefüllt, zugepfropft und
verpicht und wandern dann nach allen Himmelsgegenden, um ent¬
weder mit Wein und Zucker als Erfrischung getrunken zu wer¬
den oder pur als Heilmittel gegen gewisse Krankheiten. Wer
noch keine Kettenbrücke gesehen hat, findet in Nassau dazu Ge¬
legenheit, denn an verschiedenen Orten führen solche über die
Lahn, namentlich bei dem Städtchen Nassau, dessen Burg das
Stammschloss nicht nur der Herzoge von Nassau, sondern auch
der Könige der Niederlande ist.
88. Adolf von Nassau und Wilhelm von Oranien.
Zwei Fürsten aus dem Hause Nassau sind berühmt geworden, Adolf,
der als ein tapferer und unternehmender Helv zum Nachfolger Kaiser Ru¬
dolfs von Habsburg gewählt wurde und Wilhelm, Graf von Nassau-Ora-
nien, weicher Holland von der grausamen Regierung der Spanier befreite.