370 
wissen möchte, Was der Andere davon hält, und weil er demselben gern 
seine Meinung und seinen Glauben davon aufdringen möchte. Aus dem 
Munde des Großvaters erfährt der Enkel von den alten Freiheiten und 
Rechten, aus dessen Munde hört er die Tugend und Rechtschaffenheit 
loben, ans dem nämlichen Munde lernt er zu Gott beten. Aber es ist 
mit diesen Begriffen nicht wie mit anderen, wovon man blos reden hört 
sie aber nicht in sich selbst findet. Bon Amerika, von den Eisbären und 
Elephanten muffen uns Andere erzählen, die Das alles gesehen haben, 
aber Freiheit, Tugend und Gott hat Niemand gesehen, unser Herz und 
dann auch die Bibel sagt uns, wie es damit beschaffen ist. Ein Mensch 
welcher an keinen Gott glaubt, ist freilich von Jedermann verachtet, aber 
daß auch einer, welcher nicht an Freiheit und Tugend glaubt, keinen 
Werth in den Augen seiner Mitmenschen habe, darüber könnte man 
schon eher verschiedener Meinung sein. Aber Was wäre denn ein Mensch, 
dem es einerlei ist, ob er ein Sklave oder ein freier Mann ist? Was 
wäre Einer, der sich nicht darum kümmert, ob Gutes oder Böses ge¬ 
schieht? Wolltet ihr wohl mit solchen Leuten umgehen? 
Wenn ein Mensch geboren wird, so ist er Niemandes Sklave, er 
ist nur Gott Unterthan, der ihm das Leben geschenkt hat. Aber wenn 
er nun eines Sklaven oder eines Gefangenen Kind ist? Das macht 
keinen Unterschied, denn er hat alle Gaben wie ein Freier und Vorneh¬ 
mer und die Umstände können sich ändern, dann kann er so frei sein 
als ein auf dem Thron Geboruer. Die eigentliche Freiheit besteht nicht 
in äußerlichen Dingen, sondern in der Freiheit des Geistes, welcher Etwas 
wollen oder nicht wollen kann. Niemand kann mich zwingen, Etwas 
zu wollen, was ich nicht will. Der Pöbel d. h. die gemeinen Menschen 
welche nicht überlegen, schreit wobl mannigmal Freiheit und Gleichheit, 
zumal im Trünke und im Aufruhr, aber Das ist nicht die wahre Frei¬ 
heit, welche er begehrt. Durch solche Mißbräuche darf man sich nicht 
irre machen lassen in dem Glauben, daß die Menschen eigentlich zur 
Freiheit bestimmt seien. Wäre jener Pöbel immer frei gewesen, wäre 
er nicht erst zu einem Sklaven der Reichen und zu einem Knechte böser 
Begierden erniedrigt gewesen, so wäre er nachher nicht so rasend ge¬ 
worden. Wer aber zu allen Zeiten frei gehandelt und wohl überlegt 
hat, Was er thut, der ist auch nicht zu fürchten, wenn er noch freier 
wird als vorher. 
Wenn die Tugend Nichts als ein leeres Wort wäre, von Menschen 
erfunden und nicht von Gott stammend, dann würde es nicht Leute ge¬ 
geben haben, welche für dieselbe ihr Leben ließen, wie doch der heilige 
Stephan that, oder dasselbe wenigstens wagten, wie Joseph und Tobias 
und so viele Apostel. Straucheln d. h. nicht gerade fortwandeln auf 
der Bahn der Tugend, das widerfährt den Besten. War doch David 
nicht ohne Sünde, verläugnete doch Petrus seinen Herrn. Aber zum 
Laster, zur Gewohnheit der Sünde sinken solche Menschen nicht herab, 
sie streben ja nach der göttlichen Tugend und Vollkommenheit. Auch 
bedarf es, um tugendhaft zu sein, nicht eines ausgezeichneten Verstan¬ 
des. Gerade die Klugen fehlen oft, während bescheidene Leute in ihrem 
stillen Gemüthe das Rechte treffen. Sagt doch auch Christus: „Wenn 
ihr nicht werdet, wie diese Kindlein, werdet ihr nicht in das Himmel¬ 
reich kommen."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.