täglich Brod?
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kleinen, damals nur spärlich bedeckten Tische wurden durch GotteS
Segen täglich Hungernde gesättigt. Freilich ging denn dabei auch
der Grtreidevorrath auf dem Oberboden viel eher zu Ende, als
die Theuerung. Da nun der letzte Rest davon bereits in die
Mühle und von da in den Backofen und in die Vorrathskammer
und auch aus dieser meistens auch schon in die Hände der Hungern¬
den gegeben war, kam eines Morgens die schon erwachsene Toch¬
ter zum Vater hinauf und sagte: „lieber Vater, es sind schon wie-
der arme Kinder da, die Brod haben wollen; aber wie soll ich
jetzt thun? Soll ich denn immer noch weggeben? Wir haben
ja selber keins mehr." „Wie? sagte der Pfarrer. Es ist gar kein
Brod mehr im Hause?" „Ja, sagte die Tochter, nur noch ein
Restchen von dem gestern angeschnittenen Vaib, und dann noch ein
einziger ganzer; aber das langt ja kaum bis morgen früh in den
Haushalt, und Getreide ist gar nicht mehr da." „Ei, sagte der
Vater, Du haft noch einen ganzen l'aib und auch noch ein Restlein
von einem und sprichst schon, es sei kein Brod mehr da? Geh'
nur, meine Tochter, und schneide den Kindern getrost herunter und
so viel, wie sonst. Steht doch geschrieben: „Siehe, des Herren
Auge siehet auf die, so ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen,
das; er ihre Seele errettet vom Tode und ernähret sie in der
Theuerung. Unsere Seele harret auf den Herrn; er ist unsere
Hülfe und Schild." Harren wir ja auch auf den Herrn, und
so wird das auch wahr werden, dass er uns ernähret in der
Theuerung."
Die gute Tochter geht und gibt — denn dag war ihre Freude
— gern, kann sich aber freilich wohl bei jcdeni Bissen, den sie
herunterschneidet, kaum der Sorge erwehren: wo wird aber der
Vater bei dem großen Mangel, der überall ist, neues Getreide
auftreiben?
Und siehe, der Vater sitzt ganz ruhig in seinem Zimmer bei
den Arbeiten seines Berufs. Da kommt eine reiche Nachbarin
zu ihm: „Herr Pfarrer, sagt sie, bei Ihnen wird nun auch wohl
das Getreide, das sie hingelegt, ziemlich zu Ende gehen. Denn
ich habe oft mit Verwunderung gesehen, wie Sie von Bettelleuten
überlaufen werden, und da geht keiner davon aus Ihrem Hause
ohne ein Stück Brod. Da hab' ich denn schon immer zu meinem
Manne gesagt: „Mann, wir müssen für unsern Herrn Pfarrer
auch einige Scheffel Getreide aufheben, denn bei dem wird's bald
fehlen." Wenn Sic nun Getreide brauchen, so schicken Sie nur
hinüber und lassens holen, so viel Sie wollen. Und wenn Sie
einmal wieder einerndten, geben Sie es uns wieder."