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Ein anderer Gefangener, der sonst nichts zu thun wußte, gab lange
♦ Zeit auf die Spinnen Acht und merkte, daß sie auch Wetterpropheten
seien. Bald ließen sie sich sehen und arbeiteten, bald nicht. Einmal
spannen sie träge, ein andermal hurtig lange Fäden oder kurze, einmal
näher zusammen, ein andermal weiter auseinander, so oder so, und
endlich konnte er daran erkennen, was für Wetter kommt, Sturm, Regen
oder Sonnenschein, anhaltend oder veränderlich. Also auch dazu sind
sie gut, und wenn jemand sich verwundet hat und findet geschwind
Spinnengewebe, das er auf die blutende Wunde legen kann, so ist er
doch auch froh darüber. Wenn es rein ist, so kann es Blut und
Schmerzen stillen. Wenn es aber voller Staub ist, so schmerzt es noch
mehr, weil der unreine Staub in die Wunde kommt.
Daß es mancherlei Thiere dieser Gattung giebt, sieht schon
an der Verschiedenheit ihres Gewebes in der freien Luft, an Fenster¬
scheiben, in den Winkeln, auf den Feldern, da und dort. Manche
spinnen gar nicht, sondern springen nach ihrer Beute. Im Frühjahr
und noch viel mehr im trockenen, warmen Nachsommer sieht man oft
gar viele weiße Fäden in der Luft umherfliegen. Alle Bäume hängen
manchmal voll, und die Hüte der Wanderer auf der Straße werden
davon überzogen. Man konnte lange nicht errathen, woher diese Fäden
und Flocken kommen, und machte sich allerlei wunderliche Vor¬
stellungen davon. Jetzt weiß man gewiß, daß es lauter Gespinnst ist
von unzählig vielen kleinen schwarzen Spinnen, welche deswegen die
Spinnen des fliegenden Sommers genannt werden. Da sieht man
wieder, wie viel auch durch kleine Kräfte ausgerichtet werden kann,
wenn nur viele das Nämliche thun. —
VI. Würmer.
84. Der Regenwurm.
Es giebt verschiedene Arten des Regenwurmes. Jedermann kennt
den bei uns einheimischen. Doch mit einer einzigen Form ist die
Natur nie zufrieden; sie liebt die Mannigfaltigkeit und spiegelt sich gern
in ihren Geschöpfen bald in der Farbe, bald in der Größe, bald i»
der Lebensweise verschieden ab. Selbst diese Wurmgattung bestätigt
solches Streben; wohl fünfzehn verschiedene Abarten kennen wir, und
wie viele mögen noch von niemandem beobachtet worden sein! Einige
solcher Arten findet man an den Seeküsten im Sande oft so häufig,
daß sie allgemein als Köder bei dem Fischfang dienen. Bei uns ist
noch eine Art sehd häufig: der Wasserregenwurm. Er hält sich
vornehmlich im Schlamme der Teiche, Moräste und Sumpfgräben auf
und ist, rein im Wasser abgespült, ein wirklich schöner Wurm, karmoi-
sinroth, ins Grünliche spielend, anderthalb Zoll lang; eine Lockspeise
der Enten und Schwäne und sicher auch der Fische, der Frösche rc.
Die Fähigkeit des gewöhnlichen Regenwurmes, sich zu ergänzen, wenn
er zerschnitten wird, so daß aus zwei Hälften zwei vollkommene, neue
Würmer werden, ist dem Wasserregenwurme im möglichst großen Maß-