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und werden deshalb nur noch mehr geliebt. So blühen sie zu Aller
Freude fort, bis der Herbst kommt, wo sie wieder verwelken, um uns
abermals im nächsten Frühlinge zu erfreuen.
I). Poetische Darstellung.
Blumen, freundliche Kinderchen ihr,
Wie liebt euch die Erde so warm!
Wohl seid ihr der Mutter lieblichste
Zier,
Drum trägt sie euch sckützend im Arm;
Und brauset der Herbstwind durch
Felder und Wald
So rauh und kalt,
Dann hält sie mit zärtlichem Sorgen
Euch tief in dem Schooße verborgen.
Blumen, freundliche Kinderchen ihr,
Dann schlaft ihr der Mutter im Arm!
Sie heget und pfleget euch für und für,
Dis Lüftchen im Lenze so warm.
"Dann schlüpft ihr hinaus in die son¬
nige Welt,
In Busch und Feld,
Und lasset mit wonnigem Lächeln
Euch wieder von Westen umfächeln.
Blumen, freundlichen Kinderchen gleich,
Froh küssen euch Quellen den Fuß,
Und Vöglein, tändelnd durch Waldes¬
gesträuch,
Sie bringen in Liedern den Gruß,
Und gehet die herrliche Sonne dort auf.
In ihrem Lauf
Blickt strahlend so warm sie hernieder
Und küsset euch Blümelein wieder.
Bienen kommen in freudiger Hast,
Lang' haben sie euch nicht geschaut,
Bitten sich summend und brummend zu Gast,
Der Schmetterling grüßt euch vertraut.
Bor allen der Mensch mit der fühlen¬
den Brust,
In stiller Lust,
Begrüßet euch Lieblichen wieder,
Euch weihend die schönsten der Lieder.
Blumen, dankend drum öffnet ihr auch
Den würzigen duftenden Schooß,
Und lebenerfrischender, stärkender Hauch,
Reißt statt der Sprache sich los. —
So lebt ihr mit hellerem, liebendem
Sinn
Im Lenze hin,
Und wehet der Nordwind hernieder,
So kehret zur Mutter chr wieder.
(Kellner.)
33. Die Hyazinthe.
§. 1. Sophie war betrübt, daß der Winter so lange währte. Denn
sie liebte die Blumen, und hatte ein kleines Gärtchen, wo sie sich die
schönsten mit eigener Hand erzog. Darum sehnte sie sich nach dem
Frühlinge, und daß der Winter vorübergehen möchte.
§. 2. Da sprach der Vater: Siehe, Sophie, ich habe dir eine
Blumenzwiebel mitgebracht, du mußt sie dir aber selbst mit Sorg¬
falt erziehen.
§. 3. Wie vermöchte ich das, mein Vater, antwortete das Mäd¬
chen. Es ist ja Schnee draußen, und die Erde ist hart, wie ein Stein.
— So redete sie; denn sie wußte nicht, daß man auch in Scherben
Blumen erziehen kann, und hatte es niemals gesehen.
8- 4. Der Vater aber gab' ihr ein Töpfchen mit Erde, und
Sophie that die Blumenzwiebel hinein. — Aber sie sah den Vater
an und lächelte, zweifelnd, ob er auch im Ernste geredet; denn sie
meinte, es müsse ein blauer Himmel über der Blume schweben und
Frühlingslüftchen um sie her, und unter ihren Händen könne solche
Herrlichkeit nicht gedeihen.
_ §• 5. Nach einigen Tagen hob sich die Erde in dem Scherben,
grüne Blättchen trugen sie empor auf ihren Spitzen und kamen an das
Haesters' Lesebuch für Oberkl. evangel. Volkssch. g