Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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Wohl ist auch jetzt vom Siege er wieder heimgekehrt, 
Doch nicht des Reiches Feinden hat mächtig er gewehrt; 
Es ist der eigne Bruder, den seine Waffe schlug, 
Der dreimal der Empörung blutrothes Banner trug. 
Zu Quedlinburg vom Dome ertönt die Mitternacht. 
Vom Priester wird das Opfer der Messe dargebracht, 
Es beugen sich die Kniee, es beugt sich jedes Herz, 
Gebet in hcil'gcr Stunde steigt brünstig himmelwärts. 
Da öffnen sich die Pforten, es tritt ein Mann herein. 
Es hüllt die starken Glieder ein Büßerhemde ein — 
Er schreitet auf den Kaiser, er wirft sich vor ihni hin, 
Die Knie er ihm umfasset mit tiefgebeugtem Sinn. 
„O Bruder, meine Fehle, sie lasten schwer auf mir; 
Hier liege ich zu Füßen, Verzeihung flehend, dir: 
Was ich mit Blut gesündigt, die Gnade macht es rein, 
Vergicb, o strenger Kaiser, vergieb, du Bruder mein!" 
Doch strenge blickt der Kaiser den sünd'gen Bruder an: 
„„Zweimal hab' ich vergeben, nicht fürder mehr fortanI 
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt, 
Nach dreier Tage Wechsel da fällt dein schuldig Haupt."" 
Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich bleich, ' 
Und Stille herrscht im Kreise, gleich wie im Todtenrcich, 
Man hätte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub, 
Denn keiner wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub. 
Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt, 
Das ew'ge Buch der Eüchcr, das hält er in der Hand, 
Er lies't mit lautem Munde der Worte heil'gen Klang, 
Daß es in aller Herzen wie Gottes Stimme drang. 
„Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? Genügt ich hab'. 
Wenn ich dem sünd'gen Bruder schon siebenmal vergab? 
Doch Jesus ihm antwortet: Nicht siebenmal vergieb, 
Nein, siebcnzig mal sieben, das ist dem Vater lieb." — 
Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewußt, 
Er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust; 
Ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht — 
Nie schöner ward begangen die heil'ge Weihenacht. 
(Mähler.) 
Otto's Nachfolger: Otto U. und Otto III. starben früh und mit Heinrich II.. 
dem Heiligen, erlosch das sächsische Haus (1024). Es folgten jetzt 
•wieder Kaiser aus dem fränkischen (salischen) Geschlechte: ÜOürad II., 
Heinrich III, IV- u. V., welche ein Jahrhundert lang (von 1024—1125) die 
Kaiserkrone trugen. Der Stammvater dieser Kaiserreihe war Konrad der 
Rothe, Graf des Worms-, Speyer- und Nahegaues, dessen Macht 
sich über den grössten Theil der spätern pfälzischen Lande ausdehnte. 
Graf Konrad der Rothe war vermählt mit der Tochter Kaiser 01to’s I. 
Er fiel als Held in der furchtbaren Ungarnschlacht (055) und wurde 
in Worms, seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort, begraben. Sein Sohn 
hiess Otto. Von Otto s Söhnen, den Enkeln Konrad’s des Rothen, die sich in 
die Güter des Speyer- und W o r m s gau e s theilten, hinterliess jeder einen 
Sohn, welcher Konrad hiess. Nach dem Aussterben des sächsischen 
Hauses bewarben sich diese beiden Vettern: Herzog Konrad von Fran¬ 
ken und Graf Konrad bei der Kai«erwähl um die Kaiserkrone. Herzog 
Konrad erhielt die meisten Stimmen und regierte als SoQFäd ü. von 
1024—1039 als deutscher Kaiser.
	        
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