Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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Es ist ein überwältigender Anblick, zum ersten Male das weite 
Meer vor uns ausgebreitet zu sehen. Eine unabsehbare Wasserfläche, 
auf der in verschwindender Ferne das Himmelsgewölbe mit seinen Wol¬ 
len und Sternen zu ruhen scheint, liegt es vor uns. Wie wallen da die 
hohen Wellen rastlos fort und fort an das Ufer heran, als wollten 
sie es stürmen, und stürzen wieder zurück in den unermeßlichen Schooß! 
Wie spielt es mit den größten Seeschiffen und wiegt sie auf und ab, 
als wären es Strohhalme oder zerbrochene Schwefelhölzer! Die ge¬ 
fährlichsten Feinde des Seefahrers aber sind die Stürme auf dem Meere. 
Gewöhnlich geht eine bedrohliche, schwüle Stille dem Toben des Mee¬ 
res vorher. Erhebt sich der Sturm, so klettern die Matrosen an 
den Strickleitern empor, reffen die Segel zum größten Theile ein 
und binden sie zusammen, damit sie dem Winde keine zu bedeutende 
Fläche darbieten. Die Luken werden nach allen Seiten auf das Sorg¬ 
fältigste geschlossen, um den anschlagenden Wellen das Eindringen zn 
verwehren. Schon braust der Sturm daher und peitscht die Wogen 
himmelan, zwischen welchen furchtbare, bodenlose Abgründe erscheinen. 
Hebt der Sturm aber noch heftiger seine Schwingen, so müssen auch 
die zusammengebundenen Segel herabgenommen, im höchsten Nothfalle 
sogar die Masten gekappt, d. h. nahe am Verdeck abgehauen werden. 
Run fliegt das Schiff auf der tobenden Meeresfläche umher, rettungs¬ 
los verloren, denn bei dem Mangel an Segeln hält es schwer, auch 
wenn der Sturm vorüber ist, einen Hafen zzr erreichen — und es droht 
alsdann wohl Schiffbruch auf einer Klippe oder der Hungertod der 
Mannschaft, wenn nicht ein glücklicher Zufall den Nothleidenden ein 
Schiff zuführt, das sie aufnimmt und rettet. — 
Eine unbeschreiblich schöne Naturerscheinung ist das Leuchten des 
Meeres. So weit das Auge reicht, scheint oft das Meer in hellen 
Flammen zu stehen. Oft ziehen den segelnden Schiffen lange slam- 
menrothe Lichtstreifen nach; auch die überschlagenden Wellen leuchten 
wie ein Feuerregen, und selbst in der Tiefe des Meeres schwimmen 
eine Menge kleiner Lichter. Es rührt dieses Leuchten vom Schleim 
der in Verwesung^ übergegangenen Thiere her, mit dem das Meerwas¬ 
ser beständig gemischt ist. 
Der Meeresgrund bietet dieselben Verschiedenheiten dar, wie 
das Festland. Es giebt da Berge, Thäler und Schluchten; da¬ 
her die verschiedene Tiefe des Meeres, die Klippen, Sandbänke 
und Korallenriffe, welche den Schiffern oft gefährlich werden. Ja 
es ist der Meeresboden eigentlich nichts anderes, als eine Fortsetzung 
des Festlandes unter dem Wasser hindurch. Auch zieren den Meeres¬ 
grund ganze Waldungen von herrlichen Gewächsen aller Art, in denen 
tausenderlei Thiere leben, und die an minder tiefen Stellen das Auge 
der darüber Hinsegelnden mit den schönsten Farben ergötzen. Die 
Furcht und der Schrecken dieser Bewohner des Meeres aber, so wie der 
auf ihm dahin fahrenden Menschen ist der Riesen Hai. Er ist furcht¬ 
bar gefräßig, verfolgt die Schiffe und möchte gern alle lebenden Wesen,
	        
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