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„Nennet man das Veilchen," fragte Marie hierauf,
„nicht auch das Blümchen der Bescheidenheit?"
„Den Namen verdienet es wohl," antwortete die
Mutter; „denn es wächst im Verborgenen aus niederm
Gesträuch, und doch blühet und duftet es so schon, als
irgend eine der andern Blumen."
„Und man schätzet," sagte der Vater, „und sucht
cs nicht minder, und freuet sich, wenn man es gesun¬
den hat." *
„Es ist doch schon," rief Marie nach einem Weil¬
chen , „daß die Natur das bescheidene schone Blümchen
so frühzeitig giebt."
„Sie will dadurch," antwortete lächelnd die Mut¬
ter, „den Kindern andeuten, daß das Schone und Gute
frühe in ihnen blühen müsse, um einst erfreuliche Früch¬
te zu bringen."
„Und dadurch," sagte der Vater, „daß der Früh¬
ling seine erste schöne Gabe mit solcher Bescheidenheit
austheilet, lässet er uns erwarten, daß er noch viel
Großes und Herrliches uns reichen werde. Denn nur
da, wo Bescheidenheit und Demuth wohneu, kann das
Edle und Große gedeihen."
Nun fand Marie an der Hecke unter Dornen ein
völlig aufgeblühetes Veilchen. Aber ein voller Thau¬
tropfen glänzte in dem blauen Kelch des Blümchens,
und beugte es durch seine Schwere zur Erde nieder.
Da stand das Mägdlein, und schauete die Blume
an, und sprach: „Der schwere Tropfen wird das Veil¬
chen ganz zerstören und zur Erde neigen."
„Nicht doch, Marie," antwortete die Mutter,
„der helle Tropfen glänzet ja in dem schönen Kelch, wie