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Allein ein rechtschaffener Sternseher, Copcrnikns genannt, der van 1473 bis 1543
lebte, hat bewiesen, daß es nicht mir so geschehen könnte, wie die Naturforscher den¬
ken, sondern daß es wirklich so geschieht, und die göttliche Weisheit hat früher da¬
ran gedacht, als die menschliche.
Der geneigte Leser wird jetzt erfahren, was Copernikus behauptet und bewiesen
hat, wird aber ersucht, zuerst Alles zu lesen, ehe er den Kopf schüttelt oder gar lacht.
Erstlich sagt Copernikus, die Sonne, ja selbst die Sterne, haben gegen die Erde
weiters keine Bewegung, sondern sie stehen für uns so gut als still.
Zweitens, die Erde dreht sich in vier und zwanzig Stunden um sich selber.
Ncmlich man stelle sich vor, wie wenn von einem Punkt der Erdkugel durch ihre
Mitte bis zum entgegengesetzten Punkt eine lauge Spindel oder Achse gezogen wäre.
Diese zwei Punkte nennt nian Pole. Gleichsam um diese Achse herum dreht sich die
Erde in vier und zwanzig Stunde», nicht nach der Sonne, sondern gegen die Sonne;
und der Morgen und Mittag und Abend, das heilige Osterfest und sein Glocken¬
geläute wandeln in vier und zwanzig Stunden um die Erde herum, und erscheinen
nie an allen Orten zu gleicher Zeit, sondern in Wien zum Beispiel sechs und fünfzig
Minuten früher, als in Paris.
Drittens sagt Copernikus, während die Erde den Morgen und den Abend, und
zu seiner Zeit das heilige Osterfest in vier und zwanzig Stunden gleichsam um sich
herumspinnt, bleibt sie nicht an dem uemlichen Ort im unermeßlichen Weltraum
stehen, sondern sie bewegt sich unaufhörlich und mit unbegreiflicher Geschwindigkeit
in einer großen Kreislinie in dreihundert fünf und sechzig Tagen und ungefähr sechs
Stunden um die Sonne herum, und wieder auf den alten Ort.*)
Deßwegen und weil alsdann nach dreihundert fünf und sechzig Tagen und un¬
gefähr sechs Stunden Alles wieder so wird, und Alles wieder so steht, wie es
vor eben so viel Zeit auch gestanden ist, so rechnet man dreihundert fünf und
sechzig Tage zu einem Jahr, und spart die sechs Stunden vier Jahr lang zusammen,
bis sie auch vier und zwanzig Stunden ausmachen; denn man darf Nichts von der
kostbaren Zeit verloren gehen lassen, deßwegen rechnet man je auf vier Jahre einen
Tag mehr, und nennt es das Schaltjahr.
Viertens, sagen wir, man kann die Bewegung eines Gefährts, auf welchem
man mitfährt, eigentlich nie an dem Gefährt selbst erkennen, sondern man erkennt
sie an den Gegenständen rechts und links, an den Bäumen und Kirchthürmen, welche
stehen bleiben, und an denen man nach und nach vorbeikommt. Wenn ihr auf einem
sanft fahrenden Wagen oder lieber in einem Schifflein auf dem Rhein fahret, und
ihr schließt die Augen zu, oder schauet eurem Kameraden, der mit euch fährt, steif
auf einen Nockknopf, so merkt ihr nichts davon, daß ihr weiter kommt. Wenn ihr
aber umschaut nach den Gegenständen, welche nicht selber bei euch auf dem Gefährt
sind, da kommt auch das Ferne immer näher, und das Nahe und das Gegenwärtige
verschwindet hinter eurem Rücken, und daran erkennt ihr erst, daß ihr vorwärts
kommt, also auch die Erde. Au der Erde selbst und Allem, was auf ihr ist, so weit
man schauen kann, läßt sich ihre Bewegung nicht absehen (denn die Erde ist selbst
das große Gefährt, und Alles, was man auf ihr sieht, fährt selber mit), sondern
man muß nach Etwas schauen, das stehen bleibt und nicht mitfährt, und das sind
eben die Sonne und die Sterne, z. B. der sogenannte Thierkccis. Denn zwölf
*) Die Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Reise um die Sonne beträgt zweihundert fünfzig
Meilen auf die Minute.
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