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zu erkennen, und mehrere Stimmen riefen: „O, das hätte ein Jeder von uns
gekonnt!"
„Ich bin weit entfernt", entgegnete Columbus, „mir Etwas als Ruhm
anzumaßen, was ich nur einer gnädigen Fügung des Himmels zuschreiben darf;
indessen kommt es doch bei vielen Dingen in der Welt, welche uns leicht aus¬
zuführen scheinen, oft nur darauf an, daß sie ein Anderer uns vormacht.
Dürst ich", sagte Columbus zu jenem Kammerherrn gewendet, „Ew. Excellenz
wohl ersuchen, dies Ei" — er hatte sich von einem Diener ein Hühnerei brin¬
gen lasten — „so auf die Spitze zu stellen, daß es nicht umfällt?" Die Er-
cellenz versuchte von der einen wie von der andern Seite vergeblich, das Ei
zum Stehen zu bringen. Der Nachbar bot es sich aus, es gelang ihm eben
so wenig; nun drängten sich die andern dazu, ein Jeder wollte den Preis ge¬
winnen; allein weder mit Eifer noch mit Ruhe war es möglich, das Kunststück
auszuführen. „Es ist unmöglich!" riefen die Herren, „Ihr verlangt etwas Un¬
ausführbares!" „Und doch", sagte Columbus, „werben diese Herren sogleich
sagen: das kann ein Jeder von uns auch!" Jetzt nahm er das Ei und setzte es
mit einem leichten Schlag auf den Tisch, so daß es auf der eingedrückten Schale
fest stand. Da riefen jene: „Ja! das kann Jeder von uns!" — seitdem hört
man oft sagen, wenn eine glückliche Erfindung gemacht wurde, zu welcher ein
Jeder sich klug genug dünkt: „das Ei des Columbus!"
164. Luthers Iugen-^ahre.
(1483 — 1505.)
Als man nach unsers Herrn Geburt schrieb 1483, ist Luther am 10.
November zu Eisleben am Harz aus die Welt kommen, und am folgenden
St. Martinstag getauft, daher er den Namen Martin erhalten hat. Sein
Vater, Hans Luther, ein armer, ehrlicher und frommer Bergmann, stammte
aus dem Dorfe Möra in Thüringen, bei Eisenach gelegen, und war wegen
seiner Nahrung mir seiner Hausfrau, Margarethe, einer geborenen Lindemann
aus Eisenach, nach Eisleben gezogen. „Meine Eltern", sagt Luther, „sind
erstlich arm gewesen; mein Vater war ein armer Häuer (Bergmann), und die
Mutter hat ihr Holz auf dem Rücken getragen; sie haben sichs lassen blutsauer
werden. Ich bin eines Bauern Sohn; mein Vater, Großvater und Ahnherrn
sind rechte Bauern gewesen, ein alt und groß Geschlecht ehrlicher Leute, die
einen ziemlichen Stand geführt haben." Als aber unser milder und reicher
Gott die Bergarbeit des Vaters dieses Kindes segnet, und ihm zwei Feuer oder
zween Schmelzöfen zu Mansfeld bescheret, hat Hans Luther seinen Sohn Mar-
tinus mit Ehren von seinem wohlerworbenen Berggut erzogen; und nachdem
er des Alters gewesen, daß er hat mögen Etwas fassen und lernen, haben ihn die
Eltern im Hause fleißig gehalten zu rechter Erkenntniß und Furcht Gottes und zu
Uebung anderer Tugend. „Meine Eltern", sagt er, „haben mich sehr hart
gehalten, daß ich auch darüber gar schüchtern wurde. Die Mutter stäupte mich
einmal um einer geringen Nuß willen, daß das Blut floß; aber sie meintens
doch herzlich gut."
Da nun Martin zu seinen vernünftigen Jahren kam, haben ihn seine
Eltern in die lateinische Schule mit herzlichem Gebet gehen lassen, da dies