Seelenkräfte.
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8. 328. Die Gefühle sind nach den Quellen, aus denen sie entsprin¬
gen: 1) Gefühle der Sinnlichkeit oder körperliches Vergnügen und
körperlicher Schmerz; z. B. das Gefühl der Gesundheit, des Wohlbehagens,
der Erquickung durch Schlaf, Speise und Trank. Unangenehm sind, Er¬
müdung, Bangigkeit, Schmerz, Hunger, übelriechende Dinge u. s. w. 2)
Gefühle der Einbildungs- und Dichtungskraft. DaS Andenken
an ein genossenes Glück, an den Tod eines Freundes stimmt uns heiter oder
betrübt. Vorstellungen von Glück und Unglück, das wir hoffen oder fürch¬
ten, sind ein fruchtbarer Stoff zu Vergnügen und Schmerz für den Men¬
schen. Die Phantasie kann hier nach Gefallen dichten und das Angenehme
oder Schreckliche vergrößern. Wie oft freut sich der Mensch lange über eine
Reise, die er nie antritt, oder peinigt sich mit Vorstellungen und Uebeln,
die ihn nie treffen! Frohsinn und Missmut, Furcht und Hoffnung, Wonne
und Verzweiflung haben nicht selten blos in der Phantasie ihren Grund.
3) Mitgefühl an dem Schicksal anderer Menschen. Wir versetzen uns
mittels der Dichtungskraft in einen ähnlichen Zustand, freuen uns, oder
leiden mit ihm. Sehen wir z. B. einen Hungrigen den Hunger stillen, oder
Dürftige beschenkt werden, so theilen wir ihren Genuß und ihre Freude.
Ist eine Mutter so glücklich, ihr für verloren gehaltenes Kind wieder zu
umarmen, so ergreift uns ein Wonnegefühl. Ebenso entsteht umgekehrt bei
den Leiden Anderer Mitleiden. Wir werden mit Trauer erfüllt, wenn wir
Dinge erzählen hören, die Andern Unglück brachten. Der Schrecken ergreift
uns selbst, wenn wir Erschrockene erblicken. Wir geraten in Angst, wenn
wir Andere in drohender Gefahr schweben sehen. Der Schmerz eines Kran¬
ken, das Wehklagen der Bedrängten, der Anblick eines blutigen Leichnams
erregt unser innigstes Mitleid. Die Gefühle der Mitfreude und des Mit¬
leidens gehören zu den edelsten des Herzens, und können zur Beförderung
der Sittlichkeit sehr Viel beitragen. 4) Wohlgefallen am Schönen
und Erhabenen, Missfallen am Hässlichen. Schöne Gestalt ergötzt,
schöne Gemälde, Landschaften, Musik gefallen uns. Erhabene Gegenstände,
z. B. der Anblick des gestirnten Himmels, eines majestätisch heranziehenden
Gewitters, die Betrachtung hoher Gebirge, des Weltmeers, besondere Gei¬
stesgröße K. erregen ein noch höheres Wohlgefallen. Der gehörig ent¬
wickelte S ch ö n h e i ts si n n hat auf die übrigen Vermögen des Geistes einen
sehr heilsamen Einfluß, indem er die Phantasie vor missgestalteten Bildern
bewahrt, die Urtheilskraft unterstützt und leitet, die Lust am Rohen und
Gemeinen verdrängt, feine und edle Sitte fördert. 5) Alles, was unser
geistiges Vermögen erweitert, ist angenehm. Dahin gehören die Gefühle
bei Erkenntniß der Wahrheit, bei einer gelungenen Erfindung, bei er¬
langter Einsicht in den Zweck und Nutzen eines Werkzeugs, überhaupt bei
der Ueberzeugung, daß wir aufgeklärter geworden sind. Aber Alles, was
die Geistesthätigkeit hemmt, vergebliche Anstrengung, eine Wahrheit einzu¬
sehen, Entdeckung mancher Vorurtheile und anderer Hindernisse, die von
schwachen, oder selbstsüchtigen Menschen der Aufklärung des Verstandes in
den Weg gelegt werden, erregen unangenehme Gefühle. Wie wichtig es
sei, diese Gefühle frühzeitig zu wecken und zu bilden, das ergibt sich bei
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