Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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desto tiefer werden die Töne. Durch die Kunst des Orgelbaues ist es aber gelun¬ 
gen, dem Instrumente nicht bloß die grösste Höhe und Tiefe, sondern in seinen Re¬ 
gistern auch eine kleine Welt von mannigfaltigen Klängen zu geben; so wird die 
Orgel, als das kräftigste und reichste Instrument, zum würdigsten Dolmetscher und 
Begleiter der religiösen Gefühle der versammelten Gemeinde. Ihr stehen vor allem 
die Saiteninstrumente gegenüber, die Geige mit dem seelenvollen Klange und das 
Klavier, ein kleines Orchester unter den übrigen Instrumenten. Auch in den Blas¬ 
instrumenten wird der Ton theils durch die Lippen (wie bei der Trompete), theils 
durch schwingende Platten im Instrumente selbst (wie bei der (Klarinette und Mund¬ 
harmonika) hervorgebracht. Höhere Bedeutung indeß, als alle Instrumente,. hat die 
.menschliche Stimme, jDas Werkzeug, welches diese Stimme erzeugt, der menschliche 
-/Kehlkopf, ist ähnlich gebaut wie die Instrumente, welche durch schwingende Saiten 
oder Mctallplatten Töne hervorbringen. Zwei schmale Häute oder Bänder sind im 
Kehlkopfe so ausgespannt, daß nur eine schmale Ritze zwischen ihnen übrig bleibt. 
Werden diese Häute vom Stoße der ansgeathmeten Luft bewegt, so schwingen und 
tönen sie. Je größer der Kehlkopf ist, desto länger werden seine tönenden Bänder, 
und wie bei den Saiten wächst mit der Länge dieser Bänder die Tiefe des Tones. 
Darum haben die Männer, bei denen der Kehlkopf größer ist, als bei Frauen und 
Kindern, auch tiefere Stimmen als diese. Wie alle Töne, so wird auch die wohl¬ 
gebildete Stimme des Menschen musikalisch und melodisch. Im Gesänge wird der 
Mensch viel mehr durch seine innersten Gefühle geleitet, als im Spiele eines In¬ 
strumentes; darum vermag auch kein Instrument die Tiefen der Seele so zu bewe¬ 
gen, wie der melodische To» der Menscheustimme. 
^ Wie im Klange sich die eigenibümliclie Natur jedes Körpers ausspricht, so ist 
in noch höherem Sinne die menschliche Stimme der Ausdruck der eigensten Gefühle 
und Gedanken. Als Sprache oder als Gesang verräth sie, was die Seele des 
Menschen bewegt. Die Klänge der Geschöpfe sind der einfache, nothwendige Aus¬ 
druck ihrer Natur; aber der Ton der D enscheustimme verkündigt die freie Thätigkeit 
eines geistigen Wesens. Sellen freilich bedenkt der Mensch, daß ihm die Stimme 
dazu gegeben ist, Gott als den Schöpfer und das Urbild feines Wesens zu verkün¬ 
digen und zu preisen. 
74. Fob -er Tonkunst. 
Der schönsten und herrlichsten Goden Gottes und der besten 
Künste eine ist die Mnsica, damit man viel AnfechtiOg und böse Ge¬ 
danken vertreibt. Die Noten machen den Text lebendig; sie ver¬ 
jagt den Geist der Traurigkeit, wie man am König Saul sieht. 
Mn st ca ist das beste Labsal einem betrübten Menichen, dadurch 
das Herz wieder zufrieden, ergnickt il»d erfrischt wird; Mnsica ist 
eitle halbe Lehr- lilld Znchtineisterin, so die Leute geliilder und sanft- 
müthiger und vernünftiger macht. Die bösen Fiedler und Geiger 
dienen dazu, daß wir sehen lind hören, wie eine feine, gute Kunst 
die Mnsica sei; denn Weißes kann man besser erkennen, wenn man 
Schwarzes dagegen hält. - 1 1
	        
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