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Selbsterziehung für Beruf und Leben.
Als man das Zeichen zur Polonäse gab, bot Sylvester einem jungen
Mädchen furchtlos seinen Arm an und führte es sicher und männlich durch
die Reihen der Gäste, daß sich der Kandidat Hufnagel höllisch darüber wunderte.
Denn dieser war erst nach manchen Fährlichkeiten von Merkle an die
führende Stelle gebracht worden. An seinem Arme hing der eine von den
rosafarbenen Engeln und reichte ihm kaum zum zweiten Knopfe der Weste.
Anfänglich hatte das Mädchen versucht, ein Gespräch zu führen, aber
seine Stimme drang nur schwach zu dieser Höhe hinauf. Und seine Mit—
teilungen klangen wehmütig und trostlos.
Hufnagel hörte zuerst darauf und beugte seinen Oberkörper vor, als blicke
er in einen Brunnen, aus dessen Tiefe jemand um Hilfe schrie.
Er schickte seine Stimme hinunter zu dem armen Wesen und sagte ihm,
daß der Boden glatt sei, und daß man sich vor dem Fallen hüten müsse.
Nach dieser Warnung schwieg er.
Das Mädchen konnte nicht leugnen, daß sie berechtigt waren, denn als
die Polonäse begann und Hufnagel mit seinen langen Beinen weite Spuren
setzte und das Mädchen atemlos neben ihm herlief und den Arm immer höher
strecken mußte, um den letzten Halt nicht zu verlieren, da hatte es oftmals die
Füße in der Luft und dankte jedesmal dem lieben Gott, wenn es wieder festen
Boden gewann.
Aber was bedeutete das gegen die Schrecknisse des Walzers? Gegen die
Gefahren, als jetzt Hufnagel um die Jungfrau herumsprang?
Als seine Beine sich gebärdeten, als wären sie ganz für sich allein wahn—
sinnig geworden, während der Oberkörper immer steifer wurde?
Als seine Stiefeln die wütendsten Angriffe gegen ihre kleinen Ballschuhe
machten, auf sie lostraten, wo sie sich nur blicken ließen?
Was blieb ihr übrig, als angstvoll auf den Boden zu stieren und ihre
Füßchen vor diesen rasenden Ungeheuern zu retten?
Sie konnte nicht fliehen, denn zwei derbe Hände hielten sie fest, sie konnte
nicht schreien, denn die Musik verschlang ihre Stimme.
Sie konnte nichts tun, als dulden und durch verzweifelte Sprünge ihre
Zehen in Sicherheit bringen. Endlich war der Tanz zu Ende. Die feindlichen
Beine machten noch einige Zuckungen und kamen langsam zur Ruhe.
Und dann führte Hufnagel das zitternde Mädchen zu seiner Mutter und
verbeugte sich vor ihm und lächelte ihm zu und sagte, er würde hoffentlich
noch einmal die Ehre haben. Ludwig Thoma, „Andreas Vöst“.
131. Die Freundlschaft.
MDen jemand schlecht von deinem Freunde spricht,
und scheint es noch so ehrlich: glaub' ihm nicht
Spricht alle Welt von deinem Freunde schlecht:
mißtrau' der Welt und gib dem Freunde recht!
Nur wer so standhaft seine Freunde liebt,
ist wert, daß ihm der Himmel Freunde gibt.
Ein Freundesherz ist ein so seltner Schatz,
die ganze Welt beut nicht dafür Ersatz;
ein Kleinod ist's, voll heil'ger Wunderkraft,
das nur bei festem Glauben Wunder schafft —
doch jedes Zweifels Hauch trübt seinen Glanz,
einmal zerbrochen, wird's nie wieder ganz.