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Geschichte. 
brochener Finger eines Knechtes Melchthal so grausam strafte. 
Er sah Rettung nur in dem Tode des Tyrannen; er lauerte ihm 
auf — wieder schwirrte die Sehne seines Bogens, und mit durch¬ 
bohrter Brust sank der Zwingherr vom Pferde. 
Das ganze Volk erschrak freudig über Tells That, und was 
die dreißig Männer im Rütli geschworen, das führten sie in der 
nächsten Neujahrsnacht mit List und Kühnheit aus. Landenberg 
ergriff die Flucht, wurde gefangen, doch ungekränkt über die Grenze 
gebracht, nachdem er geschworen, das Land nie wieder zu betreten. 
Auch die andern Burgen wurden erobert und niedergerissen; das 
Land war frei und hoch loderten die Freudenfeuer auf den Alpen¬ 
firnen, Allen die wieder errungene Freiheit zu verkünden. 
Kaiser Albrecht entbrannte vor Zorn und schwur dem Hirten¬ 
volke blutige Rache; allein der Tod kam derselben zuvor. Er wurde 
von seinem eigenen Neffen Johann von Schwaben (dem der Länder¬ 
süchtige wider alles Recht das väterliche Erbe vorenthielt) ermordet. 
Auf ihn folgte Heinrich VII. (von Luxemburg), der seinen 
Sohn Johann mit der Enkelin Ottokars von Böhmen vermählte, 
wodurch derselbeKönig dieses Landes und Oberherzog von Schlesien 
ward. Nach Heinrichs Tode entstand Uneinigkeit bei der Kaiser- 
wahl, einige wählten Friedrich von Oesterreich, Albrechts Sohn, 
die andern Ludwig von Baiern. Beide wurden gekrönt, beide 
wollten regieren, und acht Jahre lang führten sie einen blutigen 
Krieg. Bei Mühldorf in Baiern kam es 1322 zur entscheidenden 
Schlacht. Zehn Stunden währte der Kampf; Friedrich focht mit 
ritterlicher Tapferkeit und warf Alles vor sich nieder. Da machte 
Schweppermann aus Nürnberg, Ludwigs Feldhauptmann, eine 
unerwartete Schwenkung, daß die Feinde Sonne, Wind und 
Staub ins Gesicht bekamen; die Baiern griffen mit Ungestüm an, 
es entstand Verwirrung und Friedrich wurde gefangen genommen. 
Doch sein Bruder Leopold wollte den Sieger noch nicht als Kaiser 
anerkennen, sondern setzte den Krieg fort. Da hielt Ludwig eine 
Aussöhnung für das Rathsamste, entließ den Gefangenen, der 
auf den Thron verzichtete und das Versprechen gab, Leopold für 
den Frieden zu gewinnen. Doch was er versprochen, konnte er 
nicht ausführen, denn Leopold ließ den Vertrag nicht gelten — 
da kehrte Friedrich freiwillig wieder in die Gefangenschaft zurück. 
Von solchem Edelmuthe und solcher Treue ward Ludwig tief ge¬ 
rührt; er drückte ihn an sein Herz und nannte ihn Bruder — aller 
Argwohn schwand — er aß mit ihm an einem Tische, schlief mit 
ihm in einem Bette und theilte mit ihm, trotz des Widerspruches 
der Fürsten, die Regierung; ja er übertrug ihm den Schutz des 
Erblandeö Baiern, während er in den Krieg zog. — Diese Freund¬ 
schaft dauerte bis zu Friedrichs Tode; Ludwig starb 17 Jahre später.
	        
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