Cyrus. Erösus. Solon.
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lange ihr saßet, prahltet ihr mit eurer Stärke; sobald ihr ausstan¬
det zum Tanze, fielet ihr über eure eigenen Füße. Ihr wußtet alle
nicht mehr, was und wer ihr wäret; du nicht, daß du König bist,
und die nicht, daß sie Unterthanen sind." — „Aber," sprach
Astyages, „wenn dein Vater trinkt, berauscht er sich nie?" —
„Nie!" — „Und was macht er denn?" — „Erhörtaufzu
dursten, sonst nichts." — Wegen solcher und ähnlicher muntern
Einfälle gewann Astyages seinen Enkel immer lieber. Er ließ ihn
reiten lernen, schenkte ihm die schönsten Pferde, nahm ihn mit sich
auf die Jagd, kurz, er machte ihm allerlei Vergnügungen. Cyrus
wurde immer männlicher, und da er einst in einem kleinen Gefechte
mit einem benachbarten Volke sich vor allen andern hervorthat, so
liebten ihn Perser und Meder. — Harpagus aber beobachtete den
Cyrus, freute sich und schwieg.
Cyrus kehrte endlich nach Persien zurück, und galt dort für
den angesehensten und rüstigsten Mann. Eines Tages erhielt er
vom Harpagus einen Hasen zum Geschenke. „Du mußt ihn,"
sagte der Bote, „wenn du ganz allein bist, selbst aufschneiden."
Er that das, und fand zu seinem Erstaunen einen Brief darin.
„Du weißt, Cyrus," schrieb ihm Harpagus, „daß du nur durch
mich am Leben erhalten worden bist; aber es ist dir auch bekannt,
was ich deinetwegen habe leiden müssen. Willst du mir nun fol¬
gen, so sollst du das Reich haben, welches jetzt Astyages beherrscht.
Bringe die Perser zum Ausstand! Wird dann der König mich oder
einen andern vornehmen Meder gegen die Empörer schicken, so
werden wir zu dir übergehen."
Cyrus entschloß sich schnell. Er versammelte die Perser, trat
unter sie, und hielt einen Brief vor. „In diesem," sprach er,
„bin ich zu eurem Anführer ernannt. Als solcher befehle ich euch,
daß morgen jeder mit einer Sichel vor mir erscheine." Nachdem
dies geschehen war, führte er sie auf ein dorniges Feld, und be¬
fahl ihnen, dasselbe bis zum Abend von allem Unkraut zu reinigen.
Mit Schweiß bedeckt meldeten sie am Abend, daß alles verrichtet
sei. „Ich bin mit euch zufrieden," antwortete Cyrus, „kommt
morgen früh in euren schönsten Kleidern wieder." Diesmal hieß
er sie, sich im weichen Grase unter schattigen Bäumen lagern, und
setzte ihnen Fleisch, köstliche Früchte und Wein vor. Alle waren
froh und schmauseten nach Herzenslust. „Nun, ihr lieben Lands¬
leute," sprach Cyrus, „welcher Tag gefällt euch besser, der gestrige
oder der heutige?" „Wie du noch fragst!" riefen alle; „gestern waren
wir Sklaven, heute aber Herren." — „Und solche Herren werdet
ihr immer sein," versetzte Cyrus, „wenn ihr das Joch der Meder
abwerfet; Sklaven aber wie gestern, so lange der grausame Aftya-
ges euch beherrscht. Wohlan denn, folget mir, und seid frei!"