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über ihren Häuptern, das lauter und lauter durch die Luft
drang, je mehr sie eilten. — Es waren die treuen heimischen
Raben, denen der fromme Gemordete tagtäglich ihre Nahrung
gereicht. Mit wunderbarer Kraft schlugen sie ihre schwarzen
Flügel um die Häupter der Fliehenden, rauschten bald rechts,
bald links, zogen ihre scharfen Krallen durch die gerollten Haare
und hackten mit ihren festen Schnäbeln nach den Mörderaugen,
so daß die Gcängstigten sich nicht mehr zu helfen wußten. In
der Verzweiflung rannten sie den Weg gegen Zürich, um ihrer
schwarzen Verfolger los zu werden. Aber die Todtenverkünder
wichen keiner Drohung, keinem Keulenstreich — immer flogen
sie über den Häuptern der Mörder und schrieen nur noch fürch¬
terlicher. — An einem Hügel hütete der Hirt von Ezel mit
seinen Söhnen die Kuhheerden. Er hörte das Jammergeschrei,
und sah die Vögel und die Fliehenden. „Seht, Kinder," rief
er, „das sind des frommen Meinrad Raben! Wehe, o wehe!
Was muß geschehen sein?" Und im Augenblick erhob er sich
und eilte an der Spitze einer Hirtenschaar, so schnell er konnte,
den Männern nach, bis er sie endlich vor Zürich erreichte. Da
hielt er sie fest, bis der Bote, den er nach Meinrads Zelle ab¬
geschickt, zurückgekommen mit der Schreckensnachricht: „Der
fromme Klausner liegt gemordet in seinem Blute vor dem Altare
des Kirchleins." — Gebunden und umringt von der Hirten¬
schaar, die laut um ihren Freund und Väter weinte, standen
die Mörder vor dem Landvogte von Zürich, bekannten von
Angst und Schrecken bei der eiligen Rache des Himmels ihres
falschen Muthes ganz entmannt, die grausenhafte'That — und
empfingen nach wenigen Tagen die Strafe, die ihnen gebührte,
auf dem Hochgerichte. Hoch in der Luft über der Richtstätte
sah man die Raben schweben, als wollten sie öffentlich vor dem
versammelten Schweizervolke gegen die Mörder zeugen. Und
ihr Geschrei tönte so schauerlich, als sprächen sie mit gewaltiger
Stimme: „Zittere, Verbrecher, es ist ein Gott und gerecht
ist sein Richten! Hier stehst du, wie er sich offenbart als Rächer
jeder bösen That, wie er alles Verborgene hervorzieht an's
Tageslicht! Zittre, Verbrecher, und kehre um — und wandle
künftig auf dem engen Pfade der Rechtlichkeit und Tugend!" —
Gott ist gerecht! — Den Bösewicht
Erreicht gar schnell sein Strafgericht. —
12 Gottes Barmherzigkeit.
Wunderbar sind die Wege, auf denen Gott der Herr die
Sünder führt, um ihnen die Unendlichkeit seiner Erbarmungen
sichtbar und begreiflich zu machen. Ganze Bücher würden wohl