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„Eine Mauer um uns baue!"
Singt das fromme Mütterlein,
„Daß dem Feinde vor uns graue.
Nimm in deine Burg uns ein!"
Mutter, spricht der Weltgesinnte,
Eine Mauer uns um's Haus
Kriegt für wahr nicht so geschwinde
Euer lieber Gott heraus! —
Eine Mauer um uns baue!
Singt das fromme Mütterlein.
Enkel! fest ist mein Vertrauen!
Wenn's dem lieben Gott gefällt,
Kann er uns die Mauer bauen;
Was er will, ist wohl bestellt. —
Trommeln rumdidum rings prasseln,
Die Trompeten schmettern drein;
Rosse wiehern, Wagen rasseln;
Ach, nun bricht der Feind herein!
Eine Mauer um uns baue!
Singt das fromme Mütterlein.
Rings in alle Hütten brechen
Schweb' und Russe mit Geschrei.
Fluchen, lärmen, toben, zechen,
Doch das Haus geh'n sie vorbei.
Und der Enkel spricht mit Sorgen:
„Mutter, uns verräth das Lied!"
Aber sieh', das Heer vom Morgen
Bis zur Nacht herüber zieht.
Eine Mauer um uns baue!
Singt das fromme Mütterlein.
'T Und am Abend tobt der Winter,
Um die Fenster stürmt der Nord.
Schließt die Laden, liebe Kinder!
Spricht die Alte und fingt fort.
Aber mit den Flocken fliegen
Nur Kosackenpulke r'an; _
Rings in allen Hütten liegen
Sechszig, auch wohl achtzig Mann.
!! Eine Mauer um uns baue! _
!| Singt das fromme Mütterlein.
Eine Mauer um uns baue!
Singt sie fort die ganze Nacht.
I Morgens wird es still. O schaue,
: Enkel, was der Nachbar macht!
Auf nach innen geht die Thüre;
Nimmer käm' er sonst heraus:
Daß er Gottes Allmacht spüre,
Liegt der Schnee wohl haushoch drauß.
Eine Mauer um uns baue!
|j Sang das fromme Mütterlein,
j1 Ja! der Herr kannMauern bauen!
Liebe, gute Mutter, komm',
Gottes Wunder anzuschauen!
Spricht der Enkel und ward fromm.
! Achtzehnhundert vierzehn war es,
Als der Herr die Mauer baut',
In der fünften Nacht des Jahres
Hat's dem Feind davor gegraut.
„Eine Mauer um uns baue!"
Sang das ftomme Mütterlein.
240. Große Schneebällen.
Wenn in sehr hohen und jähen Schneegebirgen durch den
Wind, oder durch einen Vogel, oder auch nur durch den Schall
eine kleine Hand voll Schnee los wird und anfängt den Berg
herabzurollen, so wird der Ball natürlicher Weise immer größer,
aber bis er in ein Theil herab kommt, wird er endlich so groß,
daß er Wagen, Pferd und Mami auf der Straße erdrücken
und bedecken, ja ganze Häuser zerschmettern kann, und viele
hundert Centner Schnee schießen von oben herab ihm nach.
Ein solcher Schneeschuß heißt eine Lawine. Am Dinstag
den 11. Februar des Jahres 1807, Abends 7 Uhr, stürzten bei
dem Orte Stuben in der Schweiz vier solcher Lawinen, von
verschiedenen Orten herab, auf einmal mit einem fürchterlichen
Tosen und Krachen zusammen. Das mag auch ein großer
Schrecken und Jammer für die armen Einwohner gewesen
sein! Vier Häuser und acht Ställe wurden fortgerissen und
überschüttet. Von 18 Personen, welche in diesen Häusern aßen