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den Trümmern seines Heeres voraus, durchjagte Polen nnd Deutschland, 
und fuhr ohne Aufenthalt bis nach Paris, um schnell die Bildung 
eines neuen Heeres zu veranstalten. Was die Franzosen unter dem 
Oberbefehl des Königs von Neapel noch Schauerliches in den Eis¬ 
gefilden Litthauens und Polens erduldet, übersteigt alle Beschreibung: 
die Uebriggebliebenen glichen, als sie in Preußen anlangten, keinen 
Menschen mehr, sie schleppten sich wie Gespenster einher. Der russische 
Feldzug hatte über 300,000 Menschen und 150,000 Pferde gekostet. 
Im Jahre 1813 verbrannte man in Rußland noch über 200,000 
erstarrte Leichen. 
400. Das preußische Volk im Jahre 1813. 
Von Memel bis Demmin, von Colberg bis Glatz war in dem 
unvergeßlichen Frühlinge und Sommer des Jahres 1813 unter den 
Preußen nur eine Stimme, nur ein Gefühl, ein Zorn und eine 
Liebe: das Vaterland zu retten, Deutschland zu befreien und den 
französischen Uebermuth einzuschränken. Krieg wollten die Preußen, 
Gefahr und Tod wollten sie; den Frieden fürchteten sie, weil sie von 
Napoleon keinen ehrenhaften Frieden hoffen konnten. „Krieg, Krieg!" 
scholl es von den Karpathen bis zur Ostsee, von dem Niemen bis zur 
Elbe. „Krieg!" rief der Edelmann und Landbesitzer, der verarmt war; 
„Krieg!" der Bauer, der sein letztes Pferd unter Vorspann und Fuhren 
todt trieb; „Krieg!" der Bürger, den Abgaben und Einquartierungen 
erschöpften: „Krieg!" die Wittwe, die ihren einzigen Sohn in's Feld 
schickte: „Krieg!" der Taglöhner, der keine Arbeit mehr finden konnte. 
Jünglinge, die kaum wehrhaft waren, Männer mit grauen Haaren 
und wankenden Knieen, Officiere, die wegen Wunden und erschöpfter 
Kraft längst ehrenvoll entlassen waren, reiche Gutsbesitzer und Beamte, 
Lehrer und Zöglinge an Schulen, Väter zahlreicher Familien und 
Verwalter weitläufiger Geschäfte, in Hinsicht jedes Kriegsdienstes ent¬ 
schuldigt : Alle wollten sich üben, sich aus eigene Kosten rüsten und 
für das Vaterland streiten und sterben. Jede Stadt, jeder Flecken, 
jedes Dorf schallte von Kriegslust und Kriegsmusik und war in einen 
Uebungs- und Waffenplatz verwandelt; jede Schmiede war eine Waffen¬ 
werkstätte. 
Das war das Schönste bei diesem heiligen Eifer und geschäftigen 
Gewimmel, daß alle Unte rschi ede von Ständen und Klassen 
und Rangstufen vergessen und wie aufgehoben waren, Jeder sich 
demüthigte und hingab zu dem Geschäfte und Dienste, wo er der 
Brauchbarste war, — daß das eine große Gefühl des Vaterlandes 
und seiner Freiheit und Ehre alle anderen Gefühle verschlang, alle 
anderen sonst erlaubten Rücksichten und löblichen Verhältnisse aushob. 
Die Menschen fühlten es: sie waren gleich geworden durch das lange 
Unglück; sie wollten auch gleich sein im Dienste und Gehorsam. Und
	        
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