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gesetzt waren, hatten sie ihre Faktoreien in das unabhängige Togoland
verlegt, wo ihre Waren steuerfrei aus- und eingingen. Natürlich wurden
die Engländer durch die Umgehung ihres Zollgebietes erheblich geschädigt,
und sie hetzten daher die Häuptlinge im Togolande gegen die Deutschen
auf. Gerade zur rechten Zeit erschien Dr. Nachtigal an Bord der „Möwe"
und schloß am 5. Juli 1884 mit dem Könige von Togo ein Schutz- und
Trutzbündnis ab. Zum erstenmal wurde auf afrikanischem Boden, an der
Sklavenküste, die deutsche Kriegsflagge feierlich aufgezogen.
Das nächste Ziel Nachtigals war Kamerun, wo Hamburger Kauf¬
leute Niederlassungen angelegt und ihren Handel zum bedeutendsten des
ganzen Gebietes gestaltet hatten. Auch hier war es höchste Zeit, daß
die „Möwe" anlangte und daß mit den Negern bindende Verträge abge-
schlossen wurden. Denn jeden Augenblick erwartete man die Ankunft eines
britischen Beamten, der die Schutzherrschaft seines Landes verkünden sollte.
Tatsächlich traf ein solcher zwei Tage später als Nachtigal ein, freilich
nur, um zu erfahren, daß er zu spät gekommen sei. Später, 1885,
wurde die Süd- und Nordgrenze des neuen Schutzgebietes nach langen
Verhandlungen mit Frankreich und England bestimmt und gleichzeitig ein
zusammenhängender Küstenstreifen für Deutschland gewonnen. Weil die
in Kamerun ansässigen Kaufleute ebensowenig wie die in Togo die Aus¬
übung der Oberhoheit und Verwaltung und die damit verbundenen Kosten
übernehmen wollten, so erhielten beide Kolonien einen Kaiserlichen Gou¬
verneur und wurden Reichskolonien.
An der Ostküste Afrikas, vornehmlich im Gebiet des Sultans von
Sansibar, war der deutsche Handel seit den 40er Jahren ebenfalls der
herrschende geworden und übertraf 1874, als der damalige Sultan sein
Land vergeblich unter deutschen Schutz zu stellen suchte, den englischen
Handel um das dreifache. Um ihn noch mehr zu sichern, trat Dr. Karl
Peters, der Sohn eines Pfarrers aus Neuhaus in Hannover, im
April 1884 mit mehreren gleichgesinnten Männern in Berlin zu einer
Gesellschaft zusammen, die sich entschloß, als erste deutsche Gesellschaft
praktische Kolonialpolitik zu treiben, noch ehe die Besitznahme Angra
Pequenas erfolgt war. Sie bereitete in der Stille die Erwerbung Ost-
afrikas vor, und Dr. Peters, Referendar Jühlke, Graf Pfeil und Kauf¬
mann Otto reisten unter falschen Namen nach Sansibar ab und drangen
aus diese Weise unbehelligt ins Hinterland ein. Dort schlossen sie in
überraschend kurzer Zeit mit den Beherrschern des Hinterlandes von
Sansibar Verträge ab und gewannen so ein ausgedehntes Gebiet. Peters
kehrte eilends nach Hause zurück und erhielt für seine Gesellschaft am
27. Februar 1885 einen kaiserlichen Schutzbrief, den ersten, den die deutsche
Geschichte kennt. Doch auch in Ostafrika machte sich der feindliche Einfluß
der Engländer geltend. Nachdem aber der Sultan durch den unerwarteten
Anblick eines aus acht Kriegsschiffen bestehenden Geschwaders vor Sansibar
die Macht des Deutschen Reichs fürchten gelernt hatte, erkannte er den
kaiserlichen Schutzbrief an, räumte obendrein der Deutsch-afrikanischen
Gesellschaft den sehr brauchbaren Hafen von Dar-es-Salaam ein und
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