521
Wie Stein der Wohltäter Westfalens gewesen war, so wurde
er nun in noch höherem Maße der Wohltäter des ganzen Preu¬
ßischen Staates. Nach den unerhörten Niederlagen bei Jena und
Auerstädt und nach der Zerstückelung Preußens durch den Frieden
von Tilsit wurde eine Neuordnung des Preußischen Staates not¬
wendig. Bei der Ausführung dieses schwierigen Werkes war Stein
der erste Ratgeber des Königs. Und keiner der preußischen Staats¬
männer war hierfür so geeignet wie Stein. Ihn zierten die Tu¬
genden der Gerechtigkeit und der Vaterlandsliebe in besonders ho¬
hem Grade; sein scharfer Verstand und seine reichen Erfahrungen,
seine unermüdliche Arbeitskraft und seine unbeugsame Willensstärke
ermöglichten es ihm, alle Schwierigkeiten zu überwinden.
Stein hatte erkannt, daß die Rettung und die Wiederherstel¬
lung Preußens nur erreicht werden könnten, wenn die Bürger des
Staates zur Freiheit und zur Selbständigkeit erzogen würden. Alle
Bürger sollten vor dem Gesetze gleich sein. Deshalb wurden die bis¬
her bestehenden Vorrechte und Standesunterschiede aufgehoben. Der
Zugang zu den staatlichen und militärischen Ämtern wurde für jeden
freigegeben. Es wurde ferner allen Untertanen erlaubt, Rittergüter
zu erwerben und jedes ihnen zusagende Gewerbe zu betreiben. Die
Lage der Bauern wurde freier gestaltet; sie wurden von den Dienst¬
leistungen befreit, die sie bisher für die Gutsherren auszubringen
hatten; auch wurden sie in den Stand gesetzt, selbst als Eigentümer-
Grund und Boden zu erwerben. Die Städteordnung gab den Bür¬
gern der Städte das Recht, ihre Obrigkeit selbst zu wählen und
durch die von ihnen gewählten Stadtverordneten an der Verwal¬
tung der städtischen Angelegenheiten teilzunehmen. In ähnlicher
Weise wollte Stein auch den bäuerlichen Gemeinden Anteil an der
Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten gewähren. Schließlich
sollte dann das ganze Volk sich durch die von ihm gewählten Ver¬
treter an der Gesetzgebung und Verwaltung des Staates beteiligen.
Wie Stein vorhergesehen hatte, winde durch diese Einrichtun¬
gen in Preußen der Sinn für das Gemeinwohl vermehrt und die
Liebe zum Vaterlande gestärkt. Preußen sammelte neue Kraft. Na¬
poleon aber fürchtete eine Wiedererstarkung Preußens. Darum
haßte er Stein, den Urheber dieser Umgestaltung Preußens, und
wollte ihn verderben. Auf seine Drohungen mußte Friedrich Wil¬
helm III. den Freiherrn aus seinem Amt entlassen. Stein, der von
Napoleon geächtet wurde, mußte fliehen und fand in Österreich eine
Zuflucht.
Aus die Einladung des Kaisers Alexander begab sich Stein
später nach Rußland und diente dem Kaiser durch seine trefflichen