86
ben widmen zu dürfen meinte. Kam der Montag, so war er noch
voll von seinen (L-onntagsfrenden, und quälte nicht selten den from¬
men Thomas mit den "leichtfertigsten Reden. Aber dieser schwieg,
wenn er merkte, daß seine freundlichen Vorstellungen nichts fruchten
wollten, und betete im Stillen für seinen armen Freund. Einst, als
Johann wieder über Thomas Feier des Sonntags spottete, war es
diesem gegeben, während sie mit einander arbeiteten, mit besonderer
Demuth und Liebe ihm allerlei Beispiele zu erzählen, wie Flucher
und Säufer, Spieler und schlechte Hausväter durch treues Achtha¬
ben auf Gottes Wort so umgewandelt wurden, daß sie von nun
an eine Zierde ihrer Familie waren. Thomas wurde hierbei warm,
er gedachte der Verfolgungen und Leiden, welche dke Apostel um
des Worts Gottes willen erduldeten, und rief bewegt aus: „Ach,
wie könnten wir dieses köstliche Wort verachten, das uns die wun¬
derbare Liebe Gottes kennen lehrt? Ich wünschte, du hättest mei¬
nen Vater auf seinem Sterbebette gesehen, wie er zu mir sprach:
„„Kind, liebe Gottes Wort, forsche in demselben und folge ihm
dein Lebcnlang, so wirst du, wie ich, glücklich leben und selig ster¬
ben!"" Nie werde ich diese seine letzten Worte vergessen!" — Der
Gedanke an seinen Heimgegangenen Vater machte Thomas sehr
ernst, denn er hatte ihn herzlich lieb gehabt und suchte in Wahr¬
heit so zu leben, daß er einst wieder zu ihm kommen könnte. Wäh¬
rend er sich einer stillen Selbstbetrachtung überließ, bemerkte er
nickt, wie Johann schon lange kein Wort mehr entgegnet hatte,
sondern in sich gekehrt still fortarbeitete. Endlich fiel ihm dessen
Veränderung auf, und die Ursache derselben erkennend, sprach er
mit freundlicher Miene zu ihm: „Möchtest du nicht am künftigen
Sonntage mit mir zur Kirche gehen?" Johann konnte dieser Auf¬
forderung nichts mehr entgegnen. — Der Sonntag kam uub beide
Freunde gingen mit einander zur Kirche. Der feierliche Ernst des
Hauses Gotteö und der andächtige Gesang der Gemeinde machten
auf Johann, der lange nicht mehr die Kirche besucht hatte, einen
tiefen Eindruck. Und als der Prediger den Text verlas: „Wie
' wollen wir entfliehen, so wir eine solche Seligkeit nicht achten?"
(Hcbr. 2, 3.) und erst von der Gefahr des Sünders uub dann
von der Seligkeit des Begnadigten mit gewaltigen Worten sprach,
dringend die Gemeinde ermahnend, das Heil in Christo nicht zu
verachten und die köstliche Heimat bei dem Vater im Himmel doch
ja nicht zu vcrsckerzen, da konnte Johann nicht mehr verbergen,
was in seinem Innern vorging. Er sing an zu 'zittern und zu
weinen. Nach dem Gottesdienste ging er wie gewöhnlich zu seinem
Vater, um dort zu essen; aber vergebens bemühte er sich, an der
leichten Unterhaltung theil zu nehmen, die hier zu Hause war. Er
hatte einen Pfeil in das Herz bekommen, der ihm das Lachen ver¬
trieb. Man hielt ihn für krank; er aber eilte zu Thomas, um ihm
die Angst seines Herzens mitzutheilen. Mit aller Liebe kam ihm
dieser entgegen und führte ihn zu Christo und seinem Worte.