Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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Nun fällt, eins nach dein andern, manch süßes Band dir ab, und 
heiter kannst du wandern durchs Leben bis zum Grab! Dein Zagen 
ist gebrochen, und deine Seele hofft! — Dies ward schon oft gespro¬ 
chen; doch spricht mans nie zu oft! 
150. Unser täglich Brot gieb uns heute. 
Es war einmal eine arme Frau, die lag krank und sagte zu 
ihren zwei Kindern: „Draußen in der Küche steht ein Topf mit 
kalter Milch; aber das Brot müßt ihr euch heilte dazn denken. 
Gehet aber in die Erdbeereil, und wenn ihr welche findet, so. ver¬ 
kauft sie, und das Geld nehmt und kaufet Brot dafür." 
Da gingen die beiden Kinder in die Küche und tranken die 
Milch. Und als sie getrunken hatten, nahmen sie zwei grün gla¬ 
sierte Wasserkrüglein, die hatten enge Hälse und weite Bauche, und 
wanderten damit hinaus vor die Stadt. Daselbst fanden sie drei 
andre Knaben, die gingell barfuß. Zn beucn sagten sie:' „Nehmt 
uns mit; wir wissen nicht, wo es Erdbeeren giebt." Aber die bö¬ 
sen Buben antworteten: „Droben im Simpclheim ans dem Nu߬ 
baume," uild liefen weiter, als man sie sehen sonnte. Darüber 
wurden die beiden Kinder sehr traurig lind wollten wieder umkeh¬ 
ren und ihre Mutter fragen, wo es Erdbeeren gäbe. 
Da setzte sich ein Schmetterling vor sie hin ans den Weg. 
Einen prächtigeren Sommervogel hatten sie all ihr Lebtage nicht ge¬ 
sehen. Seine Flügel waren himmelblan und mit breiten goldenen 
Rändern eingefaßt, lind jeder fast so groß wie die Haild cillcs Kin¬ 
des. Aber fangen ließ er sich nicht; jottbmt wenn die Kinder 
meinten, sie hätten ihn scholl, erhob er sich wieder lind zog ihnen 
immer langsanl voran, bis wo der Berg allfängt. Da verschwand 
er vor ihren Augen. Und die Kinder wurden wieder sehr traurig; 
denn sic wußten'noch immer nicht, wohin sie gehen müßten nach 
den Erdbeeren, nnb wollten abermals umkehren. 
Aber aus der Hecke, an der sie standen, flatterte ein jllngcs 
Vögelein. Fliegen wie ein altes tonnte cs noch nicht; aber es war 
grün und hatte eine gelbe Federkrone auf seinem Hallpte, so daß 
die beiden Kinder dachten: „Das möchten wir haben". Sie liefen 
ihm immer nach bis hinaus an den Rand des Waldes, wo die 
großen grünen Plätze sind. Da verschwand cs vor ihren Angen 
wie der Sommervogel. 
Aber unter dem Busche, in wclcheil es schlüpfte, kam der Hase 
hervor, nnb die beiden Kinder liefen hinter ihm drein in den Wald 
hinein. Denn sein weißes Schwänzlein sah aus wie ein Ei, das 
jeden Augenblick in das weiche Moos fallen mußte. Mit einem 
Male aber fielen die beiden Kinder zugleich über eine Baumwur¬ 
zel; das Häslein legte vor Schrecken seine laugen Ohren zurück 
nnb raunte auf und davon, und ihre Krüge fielen weit von ihnen 
weg aus den Boden. Doch waren sic nicht zerbrochcil, denn sie
	        
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