Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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fahl ihm, auf alles, was er jetzt sagen würde, nichts zu erwi¬ 
dern. Er las ihm hierauf den Brief aus München vor, hiess 
ihn sich reiten und verbergen, so gut er könne, wollte aber 
weiter nichts erfahren, damit er eidlich bezeugen könne, er wisse 
nichts von ihm. Brentz, der im ersten Augenblicke erschrak, 
ermannte sich schnell, schwieg, machte eine stille Verbeugung 
und ging. Der Herzog aber rief ihm bewegt nach: „ Wenn 
Ihr Gott lieb seid, wird er über Euer Beben wachen.“ Brentz 
nahm ein Brot und ging schweigend aus seinem. Hause in den 
oberen Theil der Stadt. In das erste Haus, das offen stand, 
ging er hinein, kam unvermerkt die Treppe hinauf und bis 
unter das Dach, wo er in einem Winkel hinter Holz sein La¬ 
ger aufschlug. Des andern Tages rückte der kaiserliche Oberst 
in Stuttgart ein , besetzte die Stadtthore und das herzogliche 
Schloss und überreichte seine Vollmacht. Der Herzog versi¬ 
cherte, er wisse nicht, wo Brentz sich aufhalte, gestattete aber 
dem Oberst, ihn zu suchen und lebendig oder todt mit sich zu' 
nehmen. Der Oberst liess nun alle Häuser durchforschen und 
alle Betten, Kisten, Stroh- und. Futterböden wurden von den 
spanischen Säbeln und Spicssen durchstochen. Das Geschäft 
dauerte 14 Tage lang, und Brentz hörte täglich von der Strasse 
herauf, wo die Leute mit einander redeten, etwas von dem 
Gang der Untersuchung, bis am letzten Tage auch die Reihe 
an das Haus kam, wo Brentz verborgen war. Er hörte, auf 
den Knieen liegend, das Waffengeklirr und die lärmenden Sol¬ 
daten, wie sie von einem '/Ammer zum andern sich bewegten 
und zuletzt auch seinem Bergungsorie sich näherten. Ein Sol¬ 
dat stiess mit der Klinge durch dem Holzstoss; Brentz musste 
ausbeugen, um nicht getroffen zu werden. Endlich waren alle 
Winkel des Dachraumes durchsucht und es hiess: ,,Geht, er 
ist nicht da.“ Der Oberst war nun selbst überzeugt, dass 
Brentz nicht in Stuttgart sei, und zog ab. Wie aber kam 
Brentz die 14 Tage lang mit seinem Brot ohne Trunk durch? 
Gleich am ersten Mittage kam eine Henne, schlich sich still 
zwischen den Holzstoss und das Dach bis zu Brentz und legte 
ein Ei zu seinen E'üssen, ging aber eben so wieder davon, wie 
sie gekommen war, während sonst die Hühner bekanntlich ein 
grosses Geschrei erheben, wenn sie ein Ei gelegt haben. Brentz 
nahm das Ei als von Gott gegeben, schnitt sich ein Stück Brot 
dazu und hielt so sein Mittagsmahl mit herzlicher Dankbarkeit. 
Die Henne kam täglich zu derselben Zeit und so wurde also 
Brentz täglich versorgt. An dem Tage aber, wo die Spanier 
abzogen, kam sie nicht mehr. Brentz hörte die Leute auf der 
Strasse sagen: ,,Nun sind sie fort.“ Er ging nun des Abends 
zum Herzog. Der erstaunte und traute kaum seinen Augen. 
Als der Herzog die wunderbare Erhaltung gehört hatte, führte 
er Brentz an das Fenster, kniete mit ihm nieder und dankte Gott.
	        
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