Full text: Lesestücke zum Weltkrieg

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Dann ein Satz, und ich stehe vor einem leeren Schützenloch. Die an— 
deren folgen. Links ist der Schützengraben. Was nun? Kurze Pause. 
„Ich gehe jetzt, als wenn ich Freund wäre, hinter dem Graben entlang! 
Aufpassen!“ Innerlich fürchterlich aufgepeitscht, äußerlich ruhig, gehe ich 
schnell seitwärts. Meine Brust arbeitet. Ich winke die anderen zu mir 
Aber was ist hinter diesem Graben? Er kann unmöglich die Haupt— 
stellung sein. Er ist nachlässig gearbeitet. Unsere Aufgabe ist noch nicht 
erfüllt: „Weiter!“ Wieder gehen wir wie Katzen vor. Aber kaum sind 
10 m zurückgelegt, hebt sich wieder ein Wall vor uns, dunkel, fast wie 
Wald. Oder ist's Wald? Doch nein, dazu ist die Krone zu gleichmäßig 
und auch zu gleichmäßig unterbrochen durch viereckige Erhöhungen. „Weiter!“ 
Fünf Schritte sind wir geschlichen. Es muß die Hauptstellung des Feindes 
sein. Eine Weile überlege ich. „Ich gehe heran. Verhalten Sie sich ganz 
ruhig!“ Aufrecht schreite ich schnell vor. Mein Ziel ist eine Erhöhung der 
Böschung. Im Notfall kann ich mich dahinter verbergen. Jetzt stehe ich 
davor. Was ist das? Zwei Schießscharten starren mich an. Rasch springe 
ich seitwärts und werfe mich hinter die Brustwehr. Fest angeschmiegt 
liege ich da. Nichts rührt sich. Ist der Graben unbesetzt? Die drei 
kommen langsam nach. Kein Schuß. Vorsichtig hebt sich mein Kopf über 
die Brüstung. Kein Mensch drinnen zu sehen. Im schmalen Gang liegen 
Pflöcke und Draht, auf der Rückenwehr Büchsen und Flaschen. „Ich gehe 
hinein! Vielleicht ist er verlassen!“ Ich rutsche über den Erdaufwurf. 
Jetzt sitze ich oben. Kein Laut. Meine Linke tastet nach der Rückenwand 
des Grabens. Da rollt der harte Lehm herunter und schlägt laut auf 
Blech auf. Nun bin ich verraten. Aber nichts regt sich. Ein kurzer, 
elastischer Sprung — ich stehe im feindlichen Schützengraben. Ich lausche 
wieder. Nichts. Nur links dasselbe lebhafte Patrouillenfeuer. Der Kopf 
des Fähnrichs hebt sich schwarz über die Brustwehr. Schritt für Schritt 
schreite ich den Graben entlang. Er windet sich schlangenartig hin. 
Prachtvolle Stellungen. Großartige, dickdeckige Unterstände mit Schieß— 
scharten. Das Stroh ist vollständig frisch. Doch niemand zu sehen. Ich 
schreite weiter vor. Jeden Augenblick kann ich einem Feinde gegenüber— 
stehen. Ich denke an meine Frau: „Werd ich dich wiedersehen?“ Eine 
Sternschnuppe fällt. Mein Herz arbeitet rasch. Die Hand ist aber ruhig. 
Im nächsten Augenblick krallt sie sich vielleicht in den Hals eines Ahnungs— 
losen. Weiter! Da, in diesem Unterstand etwas Dunkles. Wahrscheinlich 
ein Schlafender. Ich stehe ganz still. Im Halse fühle ich den Pulsschlag. 
Jetzt entscheidet sich alles. Zentimeterweise nähert sich meine Hand dem 
dunkeln Gegenstande. Jetzt berühren ihn die Fingerspitzen. Eine Decke
	        
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