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117. Zufriedenheit.
Ein armer Mann mußte einmal barfuß gehen, weil er nicht
so viel Geld hatte, daß er sich Schuhe kaufen konnte. Da ging
er ganz traurig in eine Kirche. Hier traf er einen Menschen, der
keine Füße hatte. Da war er gern zufrieden damit, daß er bar¬
fuß gehen mußte, und dankte Gott herzlich, daß er doch gehen
konnte. Der unglückliche Mensch wäre ja gern barfuß gegangen,
wenn er nur Füße gehabt hätte.
118. Der Reichthum.
(Sin armer Jüngling kam einst mit feinem früheren Lehrer
wieder zusammen und klagte ihm, wie cö ihm so übel ergehe, wie
es dieser und jener seiner ehemaligen Schulkameraden weit besser
hätte; sic wären wohlhabend, er litte dagegen Mangel an allem.
„Bist du denn wirklich so arm?" sprach der Lehrer, „du bist ja doch
gesund? Diese Hand," fuhr er fort, indem er feine Rechte ergriff,
„würdest du sie wohl um tausend Thaler geben?" „O nein," sprach
der Jüngling, „wie könnte mir das einfallen!" „Und deine Augen,"
fuhr der Lehrer fort, „die so frisch in Gottes schöne Welt hinein¬
schauen, um wie viel Geld würdest du sie wohl hingeben? Und
dein Gehör, durch das der Gesang der Pögel und die Stimme dei¬
ner Freunde zu dir dringt, würdest du es wohl um die Schätze ei¬
nes Königs vertauschen?" „Gewiß nicht," sagte der 'Jüngling.
„Nun denn," versetzte der Lehrer, „so klage nicht, daß du arm bist;
du hast Güter, die mehr werth sind als viel Geld.
110. Gesund und frisch sein ist bester denn Gold.
Knnz ging einmal über Land und kam matt und verdrossen
bei einem Wirtshause an, wo er sich einen Krug Bier und ein
Stück Schwarzbrot geben ließ. Er war unzufrieden, daß er seine
Reise zu Fuß machen mußte und uici;tö Besseres bezahlen konnte.
Kurz daraus kam ein schöner Wagen gerollt, in dem ein reicher
Mann saß, der sich ein Stück kalten Braten und eine Flasche Wein
geben ließ, das er in seinem Wagen verzehrte. Kunz sah ihm nei¬
disch zu uub dachte: „Wer cö doch auch so guthätte!" Der Reiche
merkte es und sagte zu ihm: „Hättest du wohl Lust, mit mir zu
tauschen?" „Das versteht sich," antwortete Kunz, ohne sich lange
zu bedenken; „steige der Herr heraus und gebe mir alles, was er
hat; ich will ihm auch alles geben, was ich habe." Sogleich be¬
fahl der Reiche seinen Bedienten, daß sie ihn aus dem Wckgca he¬
ben sollten. Gott, welcher Anblick! Seine Füße waren gelähmt;
er konnte nicht stehen, sondern mußte sich von seinen Bedienten so
lauge halten lassen, bis die Krücken herbei gebracht wurden, auf
die er sich stützte. „Heh!" fragte er, „hast du noch Lust, mit mir
zu tauschen?" „Bei Gott nicht!" gab der erschrockene Kunz zur
Antwort. „Meine Beine sind mir lieber als tausend Kutschen und ^
Pferde. Ich will lieber Schwarzbrot essen und mein eigener Herr