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zu erlernen, selbst vom Trommelschläger auf, lebte als gemeiner
Soldat von seinem Solde, zog mit auf die Wache und stieg
nach und nach bis zum Offizier. Erst als er sich der Liebe
seiner Soldaten, worunter er viele Ausländer aufnahm, versi¬
chert hielt und sich tüchtig zum Herrschen fühlte, übernahm
er selbst die Zügel der Regierung. Kaum hatte er sich aber
auf dem Throne befestigt, einige Ordnung in die Angelegenhei¬
ten des ungeheuren Reichs gebracht und sich nach Auflösung
der aufrührerischen Strelitzen (Leibgarde) der Treue seiner Trup¬
pen versichert: so trat er, von Wißbegierde getrieben und allen
Zeichen seiner kaiserlichen -Würde entkleidet, eine Reise durch
Deutschland, Holland und England an. In seinem Gefolge
hatte er außer einer Anzahl junger Edelleute, welche mit ihm
zugleich in die Schule gehen sollten, nur seinen Kammerdiener,
einen Bedienten und einen Zwerg, für den er eine besondere
Vorliebe hatte. In Deutschland suchte er von den Gelehrten
<zu lernen und besuchte gern ihre Hörsale und Kirchen. In
Holland trat er als Schiffszimmermann unter dem angenom¬
menen Namen Peter Michaelos in die Lehre und vollen¬
dete mit eigener Hand ein Kriegsschiff von 60 Kanonen, wel¬
ches er nach Archangel, einer Stadt am weißen Meere, schickte.
Von seiner Werkstatte aus und wahrend der Arbeit gab er Be¬
fehle an die russische Regierung. Auch Chirurgie erlernte er
hier, und nahm selbst manche Operation, besonders Zähne aus¬
nehmen eigenhändig vor. Man erzählt, einst habe er eir r
Person, welche an der Wassersucht krank lag, das Wasser c o-
gezapft, und als diese kurz nach der Operation gestorben sey,
habe er sie mit zu Grabe begleitet. Von Holland ging er nach
England, um das englische Seewesen kennen zu lernen, und
äußerte bei dieser Gelegenheit: er wolle eben so gern englischer
Admiral als russischer Kaiser seyn. Hierauf nahm er seinen
Weg wieder nach Deutschland, und wollte eben die Schweiz
und Italien besuchen, um sich insbesondere in der Uhrmacher¬
kunft, die er sehr liebte, und in Venedig in der Schiffbaukunst
zu vervollkommnen, als er durch die Nachricht von einem neu
ausgebrochenen Aufstande der Strelitzen in seine Staaten zu¬
rückgerufen ward. Nach seiner Rückkehr hatte er nun alle
Hände voll zu thun, um das Erlernte anzuwenden und seine
Pläne zur Bildung seines Volks in Ausführung zu bringen.
Er ließ nicht nur Bücher aus fremden Sprachen in's Russische
übersetzen und Schulen anlegen, sondern erklärte auch diejeni¬
gen, welche nicht lesen und schreiben konnten, des väterlichen
Erbes für verlustig. Er führte den Gebrauch des Schreibpa-