2. Wodan oder Odin*).
Im Lande der Semnonen zwischen Oder und Elbe befand sich das
größte Bundesheiligthum der suevischen Stämme. Es war dies ein hei¬
liger Hain mit der Bildsäule des Kriegsgottes Wodan. Als mächtiger
Leuker der Schlachten, als erhabener Schützer in jedwedem Kampfe galt
dieser Gott für den vornehmsten unter den germanischen Äsen. Durch
ihn nur gab es Sieg und Beute und ohne ihn war kein Himmel. Wer
nicht in seinem Dienste stand, d. h. wer nicht im Kampfe sein Leben ver¬
lor, dem öffnete er nicht die Pforten Walhalla's. Hatte also Jemand
einen ruhigen, natürlichen Tod gefunden, so mußte er als stummer Schatten
hiuabwanderu in die Unterwelt, in das Reich der bleichen Hela. Traurig
schritten da die Schatten an einander vorüber und nur durch leises Summen
vermochten sie sich gegenseitig ihre Klagen mitzutheilen. Da gab es weder
Kampf, noch Spiel, noch Trank. Es war ein trauriger, freudenleerer Ort.
Wie ganz anders erging es den gefallenen Helden! Sie, aber auch
nur sie, schwebten hinauf in Wodan's ewige Himmelsräume. Dort lag
Walhalla, eine große, schöne Stadt mit 500 Thoren und 50 Pforten. Hier
war der Wohnsitz tapferer Männer, hier führten sie ein herrliches Leben,
denn sie konnten ihren liebsten Gewohnheiten folgen, ihre Lieblingswünsche
erfüllen. Täglich ritt Wodan mit ihnen hinaus vor die Thore der Stadt.
Dort tummelten sie ihre Rosse und ergötzten sich in lustigen Kämpfen.
Sie durchbohrten sich mit den Speeren, spalteten sich die Köpfe und theilten
so gewaltige Hiebe aus, daß Arme und Beine umherflogen. War aber
der Kampf beendet, so saßen Alle, als wäre nichts geschehen, wieder gesund
und frisch auf ihren Rossen und lustig ging es nach der Stadt zurück.
Dort wartete ihrer das Mahl. An langen Tafeln saßen sie da und
schmausten ihr Lieblingsgericht, den Schweinebraten. Dessen gab es genug
in Walhalla, denn es war dort ein Schwein, Namens Skrimmer, welches
immer ganz und unversehrt blieb, wenn man auch täglich viel große Stücke
davon abschnitt. Darüber freuten sich die hungrig gewordenen Kämpfer
über die Maaßen, sie ließen sich den Braten herrlich munden und tranken
in langen Zügen den köstlichen Gerstentrank, den ihnen die ewigen Jung¬
frauen, Walkyren genannt, in schönen Gefäßen herumreichten. Auch Milch
war im Ueberfluß vorhanden, denn die Enter der Ziege Heidrun wurden
nie leer.
So dachten sich die alten Germanen das Reich ihres Gottes Wodan.
Kein Wunder also, wenn das Leben der freien Sueven fast in beständigem
Kampfe bestand, im Kampfe gegen fremde Völker oder gegen die wilden
Thiere des heimischen Waldes! Daher galten auch Muth und Ausdauer
im Kampfe für die höchsten Tugenden des Mannes! Eben so natürlich
war es aber auch, daß die alten Deutschen ihren Wodan über Alles ver¬
ehrten, da er ihnen die höchsten Güter bescheerte. Und wahrlich, nichts glich
*) Odin hieß der Gott bei den nordischen Völkern.