125. 
Und der Knabe ging zu jagen, 
Und es treibt und reißt ihn fort, 
Rastlos fort mit blindem Wagen 
An des Berges finstern Ort; 
Vor ihm her mit Blitzesschnelle 
Flieht die zitternde Gazelle*). 
Auf der Felsen nackte Rippen 
Klettert sie mit leichtem Schwung; 
Durch den Riß zerborstner Klippen 
Trägt sie der gewagte Sprung. 
Aber hinter ihr verwegen 
Folgt er mit dem Todesbogen. 
Jetzo auf dem höchsten Zinken 
Hängt sie, auf dem höchsten Grat, 
Wo die Felsen jäh versinken, 
Und verschwunden ist der Pfad. 
Unter sich die steile Höhe, 
Hinter sich des Feindes Nähe. 
Mit des Jammers stummen Blicken 
Fleht sie zu dem harten Mann, 
Fleht umsonst; denn loszudrücken 
Legt er schon den Bogen an. 
Plötzlich aus der Felsenspalte 
Tritt der Geist, der Bergesalte. 
Und mit seinen Götterhänden 
Schützt er das gequälte Thier. 
„Mußt du Tod und Jammer senden," 
Ruft er, „bis herauf zu mir? 
Raum für Alle hat die Erde, 
Was verfolgst du meine Herde?" Schiller. 
11. Die Gemsen. 
Die Gemsen bewohnen die höchsten Alpen, besonders in der Nähe der 
Gletscher und gedeihen nur in reiner Bergluft. Diejenigen, welche die höchsten 
Gegenden der Alpen bewohnen, nennt man Gratthiere, und diese sind ge¬ 
wöhnlich kleiner und schwächer, als die sogenannten Waldthiere, welche 
sich in niedrigen Regionen aufhalten. Die Gemse ist ein hübsches, schlankes 
Thier, hat kurze, graue und dunkelbraune Haare, zwei kleine, oben, wie ein 
Haken, gekrümmte Hörner an der Stirn, fast grade zwischen den Augen, wird 
an 20 Jahre alt und nährt sich im Sommer von dem zartesten Alpengrase, 
welches sie auch im Winter unter dem Schnee hervorscharrt. Findet sie im 
Winter kein Gras unter dem Schnee, so geht sie an abhängige Oerter, wo sie 
immer einige, wenn gleich kümmerliche Nahrung an Moos und Flechten findet. 
Die Gemsen gehen vor Sonnenaufgang auf die Weide und nach Sonnen¬ 
untergang bis in die Nacht; den Tag über liegen sie gewöhnlich an schattigen 
Orten, vorzüglich gern in der Nähe des Schnee's. Sie leben in Familien oder 
Rudeln beisammen, und eine alte Gemse ist immer Anführerin einer solchen 
Familie. Sie führt die Gesellschaft auf die Weide, hält sie in Ordnung, wacht 
*) Tie Gazelle, ein dem Rehe ähnliches Thier, welches in Asien und 
Afrika lebt. Der Dichter meint aber hier nicht dieses Thier, sondern eine Ver¬ 
wandte desselben, die Gemse.
	        
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