fullscreen: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

Belsazer. 
wagen langsam und traurig, als ob sie wüßten, daß sie einen Toten in 
seine Ruhe führten. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des 
Verstorbenen folgte nach, Paar an Paar, verhüllt in schwarze Müntel und 
stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöcklein. Jetzt ergriff unsern 
Fremdling ein wehmütiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorüber— 
geht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hute in den Händen 
andächtig stehen, bis alles borüber war. Doch machte er sich an den letzten 
vom Zuge, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle 
gewinnen könnte, wenn der Zentner um zehn Gulden ausschlüge, ergriff ihn 
sachte am Mantel und bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das muß wohl 
auch ein guter Freund von Euch gewesen sein,“ sagte er, „dem das Glöcklein 
läultet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mitgeht?“ Kannitverstan!“ 
war die Antwort. 
Da fielen unserm guten Tuttlinger ein paar große Thränen aus 
den Augen, und es war ihm auf einmal schwer und wieder leicht ums 
Herz. „Armer Kannitverstan!“ rief er aus, „was hast du nun von all 
deinem Reichtum? Was ich einst von meiner Armut auch bekomme: ein 
Totenkleid und ein Leintuch und von all deinen schönen Blumen vielleicht einen 
Rosmarin auf die kalte Brust oder eine Raute.“ Mit diesen Gedanken be— 
gleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis ans Grab, sah den 
bermeinten Herrn Kannitverstan hinabsenken in seine Ruhestätte und ward 
von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr 
gerührt als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab. Endlich ging 
er leichten Herzens mit den andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, 
wo man deutsch verstand, mit gutem Appetit ein Stück Limburger Käse, und 
wenn es ihm einmal wieder schwer fallen wollte, daß so viele Leute in der 
Wolt so reich seien und er so arm, so dachte er nur an den Herrn Kannit— 
verstan in Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches Schiff und an 
sein enges Grab. Johann Peter Hebel. 
68. Belsazer. 
Liu Babel auf der Feste 
im stolzen Marmorsaal, 
da halt mit seinen Großen 
Belsazer Königsmahl. 
Im Thalgrund brũtet die stumme, 
die schwarze Mitternacht, 
und droben isst wüster Schimmer 
und wüster Larm entfacht. 
Es -reist und kreist die Schale 
mit heißem Cyperwein, 
Satrapen und Weiberlippen 
streun süßes Gift hinein: 
Hert, dich scheun die Võlber 
und Zungen der ganzen Welt; 
dein sind die Võgel am Himmel. 
dein alles Getier im Peldl 
Des Königs Wangen brennen 
von wahngenãahrter Glut; 
da schwillt in seinem Busen 
empor ein frevler Mut:
	        
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