Full text: Vollständiges Lehr- und Lesebuch für die oberen Klassen katholischer Volksschulen

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ihrem Abwelken, sondern sie verbirgt die unreifen Körner in einer weißen, 
zarten Kapsel unter dem Boden, wo sie den ganzen Winter über ruhen. 
Im Frühjahre kommen ihre dunkelgrünen Blätter noch vor dem Grase 
aus dem Boden, und wenn man sie stehen läßt, so entfalten sie sich und 
die Samenkapsel wird ziemlich groß, enthält viele Körner, welche, wenn 
sie reif werden, braungelb aussehen. Diese Pflanze ist erstens ein Wiesen¬ 
unkraut, denn sie versperrt dem Grase oder andern Futterpflanzen den Platz 
und nimmt ihnen die Nahrung weg. Sie ist ferner für das Vieh nicht 
gesund, und so lange sie grün ist, wird sie von dem Vieh nicht angerührt; 
mit dem Heu getrocknet verliert sic ihre Schärfe und wird von dem Vieh, 
wiewohl nicht gerne, doch ohne Schaden gefressen. Die Herbstzeitlose ist 
aber zweitens eine Giftpflanze. Ich weiß ein Beispiel, daß zwei Kälber, 
welche sie grün im Frühjahre abweideten, daran zu Grunde gingen. Ja 
es ist schon mehrmals der Fall gewesen, daß Kinder zuerst mit der Samen¬ 
kapsel spielten, dann die Körner verschluckten und daran sterben mußten. 
Dieses Kraut ist schwer zu vertilgen; denn es hat ziemlich tief im Boden 
seine Zwiebel, aus welcher die Blätter herauskommen, und diese Zwiebel 
ist schwer aus dem Boden zu bringen, wenn man nicht eigens dazu gerich¬ 
tetes Stcchwcrkzeug hat. Wenn man aber die Blätter im Frühjahre, wenn 
sie schon ziemlich aus dem Boden find, wegschneidet und zwar möglich 
weit unten, und dies im nächsten Frühjahre wiederholt, so bleibt die 
Pflanze aus, weil die Zwiebel im Boden verfault. Wäre dies nicht ein 
nützliches Geschäft für die Knaben? So viel Herbzeitlosen blieben immer 
noch übrig, als der Apotheker zu der Bereitung einer Arznei gebraucht, 
welche besonders in Gichtanfällen angewandt wird. 
8. Dev Weinstock. 
Was die Rose unter den Blumen ist, das ist die Weintraube 
unter den Früchten. Lieblich ist schon der Geruch der zarten Blüthe 
des Weinstockes; aber noch herrlicher ist der Geschmack der gereiften 
Beere. Der Weinstock gehört unter die klimmenden und mit Ranken 
zum Festhalten versehenen Sträucher, und ist ohne Zweifel, wie wir 
aus der Bibel wissen, im milderen Asten ursprünglich einheimisch. 
Nach Deutschland kam er wahrscheinlich durch die Römer. Man 
lernte schon sehr frühzeitig die Kunst, aus dem Safte seiner Beeren 
durch Gährung ein erquickendes und stärkendes, aber zugleich auch 
berauschendes Getränke zu bereiten. Die Weinbeere besteht nämlich 
aus zarten Schläuchen, deren einige einen wässerigen Sauerstoss 
(Säure), andere Zuckerstoff enthalten ; nebstdem ist auch Schleim 
damit vermischt. Die Gährung der vorher zerquetschten Beeren, 
wodurch die Schläuche zersprengt werden, besteht in der Wirkung 
des Sauerstoffs auf den Zuckerstoff, wodurch Luftsäure (Kohlen¬ 
säure) entbunden und Weingeist erzeugt wird. Dadurch geschieht 
die Verwandlung des Mostes in Wein. Hat in schlechten Zähren 
der zuckerhaltige Theil der Traube stch nicht gehörig ausbilden 
können, so gibt es einen schlechten Wein, der aber um Vieles besser 
wird, wenn man dem gährenden Most Zucker zusetzt. 
Durch die Kultur, die Verschiedenheit des Bodens und des 
Klima's sind nach und nach eine große Menge von Abarten und 
Spielarten der Weintrauben entstanden, so daß man bereits gegen
	        
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