V. Ein Blick in die Ferne. 
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Höring rascher gegen die Küste treiben, wo sich dieser in Schwärmen 
zwischen die Inseln und Klippen drängt und, um den grimmigen 
Feinden draußen zu entkommen, andern noch schlimmeren Feinden 
in die Hände fällt. Denn hier halten die Fischer mit ihren Netzen. 
Zuerst kommen die Fische einzeln, bald aber in so dicht gedrängter 
Masse, daß sie Fischberge bilden, die oft bis auf den Grund des 
Meeres reichen und durch ihren Druck die Boote hoch über das 
Wasser heben. 
Haben die Fischer die Netze gezogen und die Fahrzeuge 
gefüllt, so eilen sie damit nach Bergen. Dort nun eröffnet sich an 
der Deutschen Brücke ein neues Schauspiel. Arbeiter karren den 
Hering aus den Schiffen unter die weiten Durchgänge der Häuser. 
Hier sitzt, von Tonnen umringt, eine Anzahl von Frauen, die mit 
dem Messer in der Hand das Werk des Ausweidens verrichten. 
Sie haben in dieser Arbeit eine solche Fertigkeit, daß viele tausend 
Fische täglich durch ihre Hände gehen. Die ausgeweideten Heringe 
werden in bereitstehende Kübel geworfen. Sind die Kübel gefüllt, 
so werden sie von andern Arbeitern an den Platz des Einsalzens 
gefahren; dort werden die Heringe in Tonnen verpackt und mit 
Salzlake begossen; der Böttcher schließt die Fässer, die nun, in 
den Lagerhäusern aufgestapelt, zur Ausfuhr fertig und bereit sind. 
Bedenkt man, daß von Bergen allein jährlich an 300 000 Tonnen 
ausgeführt werden, so kann man sich einen Begriff von der Größe 
und Lebhaftigkeit dieses Handels machen. 
Aber wie viele Gefahren, wie viele Mühen und fast über¬ 
menschliche Anstrengungen bringt dieses Fischergewerbe mit sich! 
Man denke sich das nordische Meer am Ende des Januarmonats, 
von Orkanen gepeitscht, die mit rasender Wut über nackte Klippen 
jagen. Doch der Fischer fragt nicht nach Sturm und Eis und 
nach den schrecklichsten Entbehrungen. „Die Fische sind da!“ 
und er muß sie fangen, muß mit Walfischen und Adlern um den 
Preis streiten. Gib dem armen Nordlandsfischer ein gutes Feld, das 
ihn ernährt, wenn er halb so viel arbeitet als in seinem lecken, 
morschen Kahne: er wird es verschmähen, wie der kühne Alpen¬ 
jäger das bequeme Haus verschmäht. Diesen lockt das rauschende 
Dickicht der Wälder, jenen das brausende Wogen des Meeres. 
Auf den Bergen zu schweifen, auf den Wellen zu fahren, das dünkt 
sie viel schöner, als geruhig in Städten zu wohnen und an vollen 
Tischen zu sitzen. So mächtig ist der Trieb, zu wagen und zu 
gewinnen — oder zu verlieren. 
Nach Th. Mügge.
	        
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