Full text: Lehr- und Lesebuch oder der sinnliche und sittliche Anschauungsunterricht für die Mittelklassen katholischer Volksschulen

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AlS der Nachbar am andern Morgen das Loch sah, lachte er, daß 
er sich beide Seiten hielt und sagte: „O du einfältiger Mensch, s» 
war es nicht gemeint! Ich will dir aber ein veredeltes Birnbäumchen 
schenken. Das setze in die Grube, die du gemacht hast, und nach 
einigen Jahren werden die Thaler schon zum Vorschein kommen." 
Ich setzte den jungen Baum in die Erde; er wuchs und wurde 
der große, herrliche Baum, den ihr hier seht. Die köstlichen Früchte, 
welche er nun seit vielen Jahren getragen, brachten mir schon weit 
mehr als hundert Thaler ein. Ich habe deshalb das Sprüchlein des 
klugen Nachbars nicht vergessen; merkt es euch: 
„Den sichersten Gewinn 
Bringt Fleiß und kluger Sinn." 
6. Schliert und Pflug. 
Einst war ein Graf, so geht die Mähr, der fühlte, daß er 
sterbe; die beiden Söhne rief er her, zu theilen Hab und Erbe. 
Nach einem Pflug, nach einem Schwert rief da der alte De¬ 
gen; das brachten ihm die Söhne werth, da gab er seinen Segen. 
„Mein erster Sohn, mein stärkster Sproß, du sollst das Schwert 
behalten, die Berge mit dem stolzen Schloß, und aller Ehren 
walten. 
Doch dir, nicht minder liebes Kind, dir sei der Pflug gegeben, 
im Thal, wo stille Hütten sind, dort magst du friedlich leben." 
So starb der lebensmüde Greis, als er sein Gut vergeben; die 
Söhne hielten sein Geheiß treu durch ihr ganzes Leben. 
Doch sprecht, waö ward denn aus dem Stahl, dem Schlosse 
und dem Krieger? Was ward denn aus dem stillen Thal, waS 
aus dem schwachen Pflüger? 
O fragt nicht nach der Sa ge Ziel, euch künden rings die Gauen: 
Der Berg ist wüst, das Schloß zerfiel, das Schwert ist längst zerhauen. 
Doch liegt daß Thal voll Herrlichkeit im lichten Sonnenschimmer, 
da wächst und reift es weit und breit, man ehrt den Pflug noch immer. 
7. Die reiche Tafel. 
's ist eine Tafel aufgestellt für Millionen Gäste, und was dir 
mundet, dir gefällt, du findest's da aufs Beste. 
Es stehen Speisen aller Art, bereitet auf dem Tische, und reife 
Früchte, süß und zart, mit ihrer ganzen Frische. 
Die Tafel schmückt im Blumensaum ein Tuch von grüner 
Seide; für alle Gäste hat sie Raum, und Jedem beut sie Freude. 
Zur Tafel eingeladen sind die Reichen wie die Armen; es speis't 
der Wirth, so Greis als Kind voll Liebe, voll Erbarmen. 
Doch hat kein Aug' ihn je geschaut, nie nannt' er seinen Namen; 
und doch ist Allen er vertraut, die zu der Tafel kamen. — ? — 
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