Full text: Drittes Schulbuch für die Oberclassen der Volksschule

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grübelten auch über diejenigen Lehren des Christenthums nach, welche der 
menschliche Verstand nicht zu enthüllen vermag. Da konnte es denn nicht 
fehlen, daß der Eine auf diese, der Andere auf jene Ansicht kam. Dies 
würde auch wohl kein Unglück gewesen sein, wenn sie ihre verschiedenen An¬ 
sichten friedlich mit einander ausgetauscht und wenigstens das ungelehrte Volk 
nicht in seinem frommen Glauben durch Streitigkeiten gestört Hütten, in denen 
sie sich wohl oft selbst nicht recht verstanden. Leider aber ward diese Vor¬ 
sicht nur selten oder nie beobachtet. Die Geistlichen und namentlich die Bi¬ 
schöfe , welchen am meisten hätte daran gelegen sein sollen, den Frieden auf¬ 
recht zu erhalten, nahinen an dergleichen Streitigkeiten den meisten Antheil 
und benutzten dieselben nur zu oft,_ um ihre Macht und ihr Ansehen zu er¬ 
weitern. Ja, es geschah noch Schlimmeres. Wenn man seine Ansicht mit 
Gründen aus Gottes Wort zu vertheidigen nicht im Stande war: so suchte 
man den Kaiser und das Volk für sich zu gewinnen, um mit deren Hilfe die 
Gegner zu unterdrücken. In den Städten des griechischen Reiches, besonders 
in Konstantinopel, Antiochia und Alexandria, kam es deshalb mehrmals zu 
Volksaufläufen und blutigen Auftritten. Diejenige Partei nun, welcher es 
nach und nach gelungen war, die Mehrzahl der Geistlichen, vorzüglich der an¬ 
gesehensten Bischöfe, für sich zu gewinnen, nannte sich die allgemeine, 
katholische Kirche. Sie behauptete, im alleinigen Besitze der von den 
Aposteln vorgetragenen Lehre zu sein. Anfangs, so lange die Kirche noch 
unter dem Drucke lebte, begnügte man sich damit, gegen Andersdenkende in 
Wort und Schrift aufzutreten, ging aber doch schon bisweilen so weit, daß 
man die kirchliche Gemeinschaft mit ihnen aufhob. Aber später bediente man 
sich auch der List und Gewalt, sie zu bekämpfen. Man nannte diejenigen, 
welche sich in äußeren Gebräuchen und Einrichtungen von der allgemeinen 
Kirche trennten, Schismatiker; diejenigen aber, welche von der Lehre 
der Kirche abwichen, Ketzer. Letztere waren — wie schon gesagt — oft 
harten Verfolgungen ausgesetzt. — Em heftiger Streit zerrüttete die christliche 
Kirche vom 4. Jahrhunderte an. Artus, ein egyptischer Geistlicher, hatte 
behauptet, daß Christus, der Sohn Gottes, an Würde und Ansehen Gott 
dem Vater nachstehe. Diese Meinung ward auf einer Versammlung (Synode, 
Concil) der Geistlichen zu Nicäa in Kleinasien 325 verdammt und die An¬ 
hänger derselben, Arianer genannt, im römischen Reiche unterdrückt. Allein 
einer derselben, Ulphilas, hatte das Christenthum unter den Gothen, 
einem deutschen Volke am schwarzen Meere, ausgebreitet. Natürlich hatte er 
ihnen die arianische Lehre vorgetragen, und von ihnen aus war dieselbe zu 
vielen Völkern gedrungen, welche im östlichen und südöstlichen Europa, beson¬ 
ders an der Donau, wohnten. Als nun diese Gothen seit 374 von den 
Hunnen, einem wilden asiatischen Volke, aus ihren Wohnsitzen im südlichen 
Rußlunde vertrieben wurden und sich dadurch genöthigt sahen, die ihnen be¬ 
nachbarten Völker zu vertreiben: so stürzten diese alle von der Donau her 
über das römische Reich und eroberten bedeutende Striche desselben. So 
ließen sich die Vandalen in Afrika nieder, wo jetzt Tunis und Algier lie¬ 
gen; die Westgothen besetzten Spanien, die Burgunder das südöstliche 
Frankreich, die Ostgothen Italien; später drangen hier die Langobar¬ 
den ein. Sie alle waren Arianer; daher gab es in den von ihnen erober¬ 
ten Ländern fortwährend blutige Streitigkeiten zwischen ihnen und den ein¬ 
heimischen Katholiken. Die Franken, welche sich im nördlichen Gallien 
niedergelassen hatten, waren sogar Heiden. Aber ihr König Klödwig be¬ 
kannte sich 496, weil er sich von seinen heidnischen Göttern verlassen glaubte, 
zum Christenthume und zwar zur römisch - katholischen Lehre. Vor seiner 
Macht beugten sich die andern Völker und gaben, theils von ihm und seinen 
Nachfolgern gezwungen, theils freiwillig den arianischen Glauben auf. —
	        
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