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Quelle der Weisheit schöpfen zu können, ließ er durch zwei befreundete Mönche
die heilige Schrift in die Landessprache übersetzen. Noch ernster berührte ihn
der Vorfall, daß einer seiner Freunde bei einem Gastmahle vom Schlage ge¬
troffen wurde und todt niedersank. Als er nun durch fleißiges Lesen der
heiligen Schrift erkannt hatte, daß die Christenheit -größtentheils vom rechten
Wege abgewichen sei, trug er das, was er erforscht hatte, heilsbegierigen
Seelen vor. Er verwarf den Gebrauch der lateinischen Sprache beim Gottes¬
dienste, die Verehrung der Heiligen, den Ablaß, die Messe als Opfer, die Ohren¬
beichte rc. Um sich ganz dem Dienste Christi hingeben zu können, gab er das
Geschäft als Kaufmann auf (1170), vertheilte seine Güter unter die Armen
und gründete einen Verein mit Gleichgesinnten („Arme von Lyon"). Bald
hatte sich eine kleine Gemeinde gläubiger Seelen um ihn gesammelt, um nach
den Geboten der Schrift zu leben. Der römische Stuhl verfolgte jedoch den
Stifter des Vereins, der nun flüchtig ward und nach langem Umherirren
1197 in Böhmen starb. Bald wurden auch die Glieder der neuen Gemeinde,
nun Waldenser genannt, verfolgt, obwohl man ihnen nichts Strafbares
nachweisen konnte. Sie waren in ihren Sitten ordentlich und bescheiden,
trugen keine zu kostbare, aber auch keine zu geringe Kleidung, mieden allen
Lug und Trug und lebten nur von ihrer Hände Arbeit. Sie suchten sich
keine Reichthümer zu sammeln, sondern begnügten sich mit dem Nothwendigsten.
Sie hielten sich züchtig, besuchten keine Schänken noch öffentliche Tänze, son¬
dern beteten, arbeiteten, lehrten und lernten mit einander. Dazu waren sie
mit der heiligen Schrift so vertraut, daß die Geistlichen sehr darüber erstaun¬
ten. Sie forschten so fleißig in der Schrift, daß ihnen die falschen Lehren
der römischen Kircke nicht verborgen blieben. Darum wollten sie dem Papste
nicht mehr Unterthan sein, und die Verfolgung begann von Neuem. Der
Papst Alexander III. that sie in den Bann, und der Erzbischof zu Lyon er¬
hielt den Befehl, sie mit aller Strenge zu behandeln. Da zerstreuten sie sich
nach allen Gegenden hin fast durch ganz Europa, und überall streuten sie
guten Samen aus. Die Mehrzahl zog sich in die Thäler des westlichen Pie¬
monts zurück. —
Um die Ketzer sicher auszurotten, hatte der Papst sogar eigene Gerichts¬
höfe bestellt, zu denen man die Dominikanermönche verwendete. Diese soge¬
nannten Jnquisitionsgerichte hatten fast unbeschränkte Macht in den
Händen. Die Inquisitoren konnten jeden Angeklagten verhaften, auch ohne
ihm den Kläger zu nennen. Das Bekenntniß der Schuld erpreßten sie ge¬
wöhnlich durch Folterqualen, und viele Unglückliche wurden dem Gefängnisse
auf _ Lebenszeit übergeben oder dem Flammentode geweiht. In Bingen am
Rhein wurden 35 Bürger von Mainz und in Mainz selbst 18 lebendig ver¬
brannt. Der Bischof von Straßburg ließ 80 Menschen verbrennen. Sie
starben, wie die Märtyrer in den ersten christlichen Zeiten, unter standhaftem
Bekenntnisse ihres Glaubens. Diese furchtbaren Gerichte verbreiteten sich auch
bald außerhalb Frankreichs. Kein Land hat ihre Schrecken mehr erfahren,
als Spanien. In Deutschland konnten sie nicht Wurzel fassen. Der Domini¬
kaner Konrad von Marburg fand dabei den verdienten Untergang, indem er
am 30. Juni 1233 unweit Marburg von einigen Edelleuten angefallen und
erschlagen wurde. Nach Wippermann u. A.
d. Johann Wiclef (1324 bis 1384).
Nach den Waldensern trat in der Mitte des 14. Jahrhunderts ein ge-
lehrter, scharfsinniger, religiöser und wahrheitliebender Mann gegen die Geistes-
tyranner des Papstes und gegen viele falsche Lehrsätze der römischen Kirche
auf; es war der Engländer Johann Wiclef oder Wicliffe). Er wurde um
1324 unweit Richmpnd in der englischen Grafschaft Pork geboren und von