Full text: Drittes Schulbuch für die Oberclassen der Volksschule

437 
Quelle der Weisheit schöpfen zu können, ließ er durch zwei befreundete Mönche 
die heilige Schrift in die Landessprache übersetzen. Noch ernster berührte ihn 
der Vorfall, daß einer seiner Freunde bei einem Gastmahle vom Schlage ge¬ 
troffen wurde und todt niedersank. Als er nun durch fleißiges Lesen der 
heiligen Schrift erkannt hatte, daß die Christenheit -größtentheils vom rechten 
Wege abgewichen sei, trug er das, was er erforscht hatte, heilsbegierigen 
Seelen vor. Er verwarf den Gebrauch der lateinischen Sprache beim Gottes¬ 
dienste, die Verehrung der Heiligen, den Ablaß, die Messe als Opfer, die Ohren¬ 
beichte rc. Um sich ganz dem Dienste Christi hingeben zu können, gab er das 
Geschäft als Kaufmann auf (1170), vertheilte seine Güter unter die Armen 
und gründete einen Verein mit Gleichgesinnten („Arme von Lyon"). Bald 
hatte sich eine kleine Gemeinde gläubiger Seelen um ihn gesammelt, um nach 
den Geboten der Schrift zu leben. Der römische Stuhl verfolgte jedoch den 
Stifter des Vereins, der nun flüchtig ward und nach langem Umherirren 
1197 in Böhmen starb. Bald wurden auch die Glieder der neuen Gemeinde, 
nun Waldenser genannt, verfolgt, obwohl man ihnen nichts Strafbares 
nachweisen konnte. Sie waren in ihren Sitten ordentlich und bescheiden, 
trugen keine zu kostbare, aber auch keine zu geringe Kleidung, mieden allen 
Lug und Trug und lebten nur von ihrer Hände Arbeit. Sie suchten sich 
keine Reichthümer zu sammeln, sondern begnügten sich mit dem Nothwendigsten. 
Sie hielten sich züchtig, besuchten keine Schänken noch öffentliche Tänze, son¬ 
dern beteten, arbeiteten, lehrten und lernten mit einander. Dazu waren sie 
mit der heiligen Schrift so vertraut, daß die Geistlichen sehr darüber erstaun¬ 
ten. Sie forschten so fleißig in der Schrift, daß ihnen die falschen Lehren 
der römischen Kircke nicht verborgen blieben. Darum wollten sie dem Papste 
nicht mehr Unterthan sein, und die Verfolgung begann von Neuem. Der 
Papst Alexander III. that sie in den Bann, und der Erzbischof zu Lyon er¬ 
hielt den Befehl, sie mit aller Strenge zu behandeln. Da zerstreuten sie sich 
nach allen Gegenden hin fast durch ganz Europa, und überall streuten sie 
guten Samen aus. Die Mehrzahl zog sich in die Thäler des westlichen Pie¬ 
monts zurück. — 
Um die Ketzer sicher auszurotten, hatte der Papst sogar eigene Gerichts¬ 
höfe bestellt, zu denen man die Dominikanermönche verwendete. Diese soge¬ 
nannten Jnquisitionsgerichte hatten fast unbeschränkte Macht in den 
Händen. Die Inquisitoren konnten jeden Angeklagten verhaften, auch ohne 
ihm den Kläger zu nennen. Das Bekenntniß der Schuld erpreßten sie ge¬ 
wöhnlich durch Folterqualen, und viele Unglückliche wurden dem Gefängnisse 
auf _ Lebenszeit übergeben oder dem Flammentode geweiht. In Bingen am 
Rhein wurden 35 Bürger von Mainz und in Mainz selbst 18 lebendig ver¬ 
brannt. Der Bischof von Straßburg ließ 80 Menschen verbrennen. Sie 
starben, wie die Märtyrer in den ersten christlichen Zeiten, unter standhaftem 
Bekenntnisse ihres Glaubens. Diese furchtbaren Gerichte verbreiteten sich auch 
bald außerhalb Frankreichs. Kein Land hat ihre Schrecken mehr erfahren, 
als Spanien. In Deutschland konnten sie nicht Wurzel fassen. Der Domini¬ 
kaner Konrad von Marburg fand dabei den verdienten Untergang, indem er 
am 30. Juni 1233 unweit Marburg von einigen Edelleuten angefallen und 
erschlagen wurde. Nach Wippermann u. A. 
d. Johann Wiclef (1324 bis 1384). 
Nach den Waldensern trat in der Mitte des 14. Jahrhunderts ein ge- 
lehrter, scharfsinniger, religiöser und wahrheitliebender Mann gegen die Geistes- 
tyranner des Papstes und gegen viele falsche Lehrsätze der römischen Kirche 
auf; es war der Engländer Johann Wiclef oder Wicliffe). Er wurde um 
1324 unweit Richmpnd in der englischen Grafschaft Pork geboren und von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.