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und Maria. Meine Seufzer hört Niemand bei mir! — Nein, 
Herr, vergieb! Ich weiß nicht, was ich thue. Ich bin gesund, 
habe keine Schmerzen in meinen Gliedern, keine spottenden Feinde 
zu meinen Füßen. Unendlich viel mehr hast Du gelitten. Ich bin 
nicht werth der Gnade, daß Du so viel für mich gelitten hast, um 
mir die Sterbestunde leicht zu machen. Aber mein armes Weib, 
meine armen Kindlein! Wie werden sie warten, wie werden sie 
suchen, wie werden sie weinen! Verzeihe mir, Vater, wenn ich jetzt ' 
noch Hoffnung habe, wieder heimzukommen!" 
Unter solchen und ähnlichen Schauer- und Lichtgedankcn ver¬ 
schwand dem Anton die Nacht, langsam hingehend und wieder aus¬ 
ruhend, wie ein Greis, der seinem Grabe zuwankt. Der Morgen 
dämmerte in den Schacht hinein. Da hob sich wieder die Lebens¬ 
hoffnung in dem Herzen Antons. Sie war aber doch nur das 
Leuchten eines Wetterstrahls, nach welchem die Nacht noch dunkler 
wird. Wohl ihm, daß er noch eine andere Hoffnung kannte! Sank 
die Erdenhoffnung, dann schwang sie ihre heilige Fackel und erleuch¬ 
tete die himmlischen Hallen, und Anton blickte hinein und freuete 
sich herzinnig. 
Unterdessen hörte er, — denn der Schacht stand nicht weit 
vom Fahrwege — das Rollen der Eisenkarren auf dem Wege und 
das Peitschenknallen der Fuhrleute. Er schrie sich heiser; Niemand 
hörte seine Stimme. 
Die Wagen rollten weiter, ihr Donner wurde immer leiser und 
leiser, endlich verschwand er ganz, mit ihm die wieder erwachte 
Hoffnung des Bedrängten. „O da ist gewiß der treue Fuhrmann 
Leonhard dabei," dachte Anton, „könnte er mir nur noch einen Gruß 
an meine Frau bestellen. Lebe wohl, treue Gefährtin meines Lebens; 
habe Dank für deine Liebe; erziehe die Kindlein in Gottesfurcht; 
oben sehen wir uns wieder! Du aber, o Herr, schaue auf mich 
nieder und verlaß mich in meiner Sterbestunde nicht!" 
Jetzt fing auch der Hunger an, unsern Armen zu plagen. 
Zu allem Glücke hatte ihm die Frau seines Vetters ein Butterbrod 
mit auf den Weg gegeben. Davon aß er ein Wenig. Auch plagte 
ihn entsetzlich der Durst, aber er durfte sich nicht bücken, um Was¬ 
ser zu schöpfen; denn wenn er cs wagte, so mußte er die Hand, 
mit der er sich an dem Holze festhielt, loslassen, verlor auf seiner 
schmalen Bank das Gleichgewicht, und stürzte wieder hinunter in das 
Wasser, das dann aus einem Lebe- und Labequell in einen Todes¬ 
quell sich gewandelt hätte. So quillt im irdischen Leben nicht selten 
Leben und Tod aus Einem Born: man muß einen andern Lebens¬ 
brunnen kennen, durch dessen Wasser wir aus immer getränkt werden! 
„Und ob mir auch Leib und Seele verschmachte," rief Anton, „so 
bleibst Du, o Herr, meines Herzens Trost und mein Theil! Nach 
Dir, Erbarmer, schreie ich, wie ein Hirsch nach frischem Wasser."
	        
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