164
eine Zeit lang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wußte anfangs
selbst nicht, was ihm fehlte; endlich merkte es. daß es Heimweh war. Und
ob es hier gleich viel tausendmal besser war als zu Hause, so hatte es doch
ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr: „Ich habe den Jammer nach
Hause gekriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann
ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu den Meinigen." Die
Frau Holle sagte: „Es gefällt mir, daß du wieder nach Hause verlangst, und
weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder oben hin¬
bringen." Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes
Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter
stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, lind alles Gold blieb an ihm hängen,
sodaß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du
so fleißig gewesen bist," sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule
wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor ver¬
schlossen. und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von
seiner Mutter Hause. Ilnd als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem
Brunnen und rief: „Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!" Da
ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam,
ward es von ihr und der Schwester ganz gut aufgenommen.
vie fame Tochter.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die
Mutter hörte, auf welche Art es zu dem großen Reichtum gekommen war,
wollte sie der anderen, häßlichen und faulen Tochter gern dasselbe Glück ver¬
schaffen. Sie mußte sich auch an den Brunnen setzen und spinnen; und da¬
mit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger lind stieß die Hand
in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang
selber hinein. Sie kam loie die andere mif die schöne Wiese und ging auf
deinselbeil Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot
wieder: „Ach, zieh mich raus! sonst verbrenn' ich, ich bin schon längst aus¬
gebacken." Die Falile aber antwortete: „Da hätt' ich Lust, mich schmutzig zu
machen; bleib sitzen, bis bn schwarz wirft!" und ging weiter. Bald kam sie
zu dein Apfelbaum, der rief: „Ach. schüttele mich, schüttele mich! wir Apfel
sind alle miteinander reif." Sie antwortete aber: „Du kommst mir recht! es
könnte mir einer auf den Kopf fallen!" lind ging weiter. Als sie vor der
Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen
schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tage tat sie
sich Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas
sagte; denn sie dachte an das viele Gold, was sie ihr schenken würde. Am
zweiten Tage aber sing sie schon an zu faulenzen, am dritten Tage noch mehr;
da wollte sie morgens gar nicht aufstehen, sie machte auch der Frau Holle