Genesung verloren war. Es blieb ihr nichts übrig, als bis
zum letzten Augenblick bei dem schwergeprüften Gemahl auszu¬
harren. Was sie beim Hinscheiden desselben tröstete, war das
schöne Bewußtsein der treuesten Pflichterfüllung, aber auch die
feste Überzeugung, das Glück seines Lebens gewesen zu sein.
Seit dem Tode des Gemahls lebt sie als „Kaiserin
Friedrich" in Friedrichshof bei Homburg oder verweilt bei ihrer
Mutter, ihren Kindern und Enkeln. Alle freuen sich, wenn sie
kommt. Möge sie ihnen noch recht lange erhalten bleiben!
Kaiser Wilhelm II. 15. Juni 1888.
Wilhelm II. wird planmäßig auf seine spätere Stellung vorbereitet-
auch nach seiner Vermählung bildet er sich fleißig Wetter. Bei seiner
Thronbesteigung gelobt er, die Frömmigkeit zu pflegen, den Frieden zu
schirmen, die Wohlfahrt des Landes zu fördern, den Armen und Be¬
drängten ein Helfer, dem Rechte ein getreuer Wächter zu sein. DieS
Gelöbnis hat er gehalten. Das Schulwesen erfreut sich seiner Fürsorge,
und die Kunst findet in ihm einen mächtigen Gönner. Die während
seiner Regierung gemachten Erwerbungen sind für Deutschland sehr wichtig.
Wilhelm II. ist geboren ant 27. Januar 1859. Er war
bei- älteste Sohn des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen
und ber Prinzessin Viktoria von England. Die Eltern verwandten
große Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Kinder, namentlich auf
die des Prinzen Wilhelm, weil er voraussichtlich dazu bestimmt
war, dereinst das schwere Regierungsamt zu übernehmen.
Bis zum Jahre 1874 blieb er bei seinen Eltern. Im
Herbste dieses Jahres kam er mit seinem Bruder Heinrich auf
das Gymnasiunl zu Staffel, welches er bis zum Januar 1877
besuchte. Er verließ die Anstalt mit dem Zeugnis der Reife und
erhielt bei feinem Abgange eine der Denkmünzen, welche aus
einer alten Stiftung an die drei fleißigsten und würdigsten
Schüler der obersten Klasse verteilt werden. Mit Recht sagt
man von seinem Aufenthalt in Kassel: „Die hohenzollernsche
Pflichttreue war ein Schmuck seiner Jugend."
Kurze Zeit nach seiner Heimkehr von Kassel wurde ber
Prinz zur Erlernung des praktischen Dienstes dem 1. Garde
regiment zu Potsdam zugewiesen. Sein Großvater, der alte
Kaiser Wilhelm, war mit seinem Vater bei dem Eintritte zugegen.
Derselbe hielt dabei an die Offiziere eine ernste Ansprache und